Künstlerin, von Berufs wegen

Gestern beim AMS. Im Kindergarten Rötelalarm, so habe ich beide Kinder dabei. Wieder spüre ich diese Unsicherheit. Zählen die vorgelegten Bewerbungen auch? Die Kinder hämmern am Terminal. „Schweißer in Vorarlberg gesucht“ steht da … Die neue Betreuerin heißt Frau Hofer*. Meine vierte neue Betreuerin in vier Monaten. „Sie sind für 20 Stunden vorgemerkt?” fragt sie. „Ja, das stimmt“, antworte ich. „Beruflich sind Sie …? Ah, Sie sind, … Künstlerin …!?“ „Ja“, sage ich in dem schuldbewussten Ton, den ich mir angewöhnt habe, wenn ich an einer offiziellen Stelle erklären muss, was ich glaube sein zu dürfen. Nach der Geburt der Kinder konnte man zumindest noch sagen: „Ich bin jetzt Mutter …“ Allerdings hatte ich das längste Betreuungsmodel gewählt, komme jetzt immer mehr unter Druck. Ich solle jetzt bitte wieder etwas „Gescheites“ machen, zumindest aber bereit sein, etwas „Gescheites“ zu lernen. Mutter bin ich halt trotzdem noch immer.

Frau Hofer tippt eifrig in die Tastatur, murmelt etwas von „Kunstmanagement, Kulturvermittlung … Also die Bezeichnung ,Künstler‘, die gibt’s ja gar nicht.“ Ich werde immer noch wütend, wenn ich an meine letzte AMS-Betreuerin denke: „Wie ich sehe, haben Sie seit 2013 ja quasi nichts gemacht …“

Kali, oh Kali, vielarmige Göttin, als Einzige hast du das Monster besiegt! Alle anderen haben im Kampf mit ihm nur erreicht, dass aus jedem austretenden Tropfen Blut ein neues Monster wurde. Kali aber saugte das Monster einfach leer. Anschließend torkelte sie trunken und angriffslustig durch die Welt. – Ich habe also seit 2013 „nichts gemacht“! Nichts außer Kinder. Küche. Kirche. Ah, nein, Kunst war’s!!

Karenz durchhalten – Kultur beobachten – Kontrolle bewahren – Konkurs abwenden – Karriere pushen – Krisen durchstehen – Kosten durchrechnen – Konkurrenz aushalten – Kampfgeist bewahren – Kompromisse erfinden – Klagen zurückhalten – Koks verbieten – Kindsvater tolerieren – Kohle herzaubern – Kurven kratzen – Konferenzen nicht beiwohnen – Kriechen, kriechen, kriechen – Kuratoren bezirzen – Klubs nicht besuchen – Kommunikation verweigern – Konzepte verwerfen – Katastrophen abwenden – Kettenreaktionen heraufbeschwören – Kraftakte, jede Nacht – Kondome nicht finden – Kiffen – Kaffee – Kinderkacke – Katzenklo – Kleingeld fürs Karussell ausgeben – Kollegen vergessen – Krampfkampf bis zum K.O.

Frau Hofer unterbricht meinen Furor im Kopf: „Warum sind Sie denn nicht bei Team4 in der Betreuung?“ Team4 ist das KünstlerInnenservice des AMS. „Ihre Vorgängerin meinte, ich hätte dazu im letzten Jahr mehr als 62 Tage angemeldet in der Kunstbranche arbeiten müssen, aber als Mutter …“ Frau Hofer unterbricht mich ganz milde: „Jaja, passt schon, ich habe ja auch einen Dreijährigen zuhause, ich weiß wirklich wie es ist …“ Was für ein Glückstag! Jemand weiß, wie es ist, kennt dieses menschenverachtende System. Ein System, in dem lediglich fertige Fabrikate zählen, bezifferbare, benennbare Ausschussware. Und mitten drin mein so völlig sinnloser Versuch, die zwei so überaus schlecht verkaufbaren Pole zu verbinden – und das auch noch freiwillig. Mein aktuelles Leben und mein Fazit daraus: Kunst und Kind – selber schuld.


Hannah Menne aka Copia Vacua (fb)

* Name geändert

Der Text enstand in einer längeren Version als vorgetragenes Statement zur Eröffnung der Ausstellung Kunst & Kind: Plakate! (Galerie IG BILDENDE KUNST, 28.6.-28.7.2017), in der Hannah Menne auch mit einem Plakat vertreten war.