Zuletzt haben sich gleich zwei mögliche Zugangswege entwickelt. Ein Zugangsweg öffnet sich über das Urheber_innenrecht, das nun erlaubt, gemeinsame Vergütungsregeln zwischen Verbänden von Urheber_innen und ihren Verwerter_innen abzuschließen. Der andere Weg ist wesentlich unkonkreter abgesteckt, durch Leitlinien der europäischen Kommission, wonach bestimmte Formen von Kollektivverträgen zwischen Verbänden von Selbstständigen nicht mehr dem Wettbewerbsrecht unterliegen (und somit legal möglich werden). Was können sie, für wen – und wovon reden wir hier?
Fair Pay und Kollektivverträge
Von einem Recht auf angemessene und faire Bezahlung träumen viele in Kunst und Kultur schon lange. Kampagnen wie Pay the Artist Now der IG Bildende Kunst und auch die gemeinsame Initiative zahlreicher Interessenvertretungen kulminierend im Fair Pay Reader (2021) zielen auf die Umsetzung. Einiges passiert derzeit auf Ebene der Förderpolitik – von Verbindlichkeit und einem Recht auf Fair Pay sind wir allerdings noch weit entfernt. Ein Hindernis liegt im Wettbewerbsrecht (in Österreich Kartellrecht): Vereinbarungen zu Honorarhöhen, auch einseitige Mindesthonorarempfehlungen für Selbstständige schrammen zumindest an der Rechtswidrigkeit entlang, da sie als Preisabsprachen gewertet werden können.
Kollektivverträge in Österreich
Kollektivverträge, wie wir sie bisher kennen, legen – in aller Verkürzung – einen Mindestrahmen für Anstellungen (am wichtigsten: das Mindestgehalt) fest. Sie werden zwischen Verbänden von Arbeitgeber_innen (oft die Wirtschaftskammer) und Arbeitnehmer_innen (meist die Gewerkschaft) verhandelt und gelten entsprechend dem Arbeitsverfassungsgesetz. Kollektivverträge sind in Österreich unmittelbar rechtsverbindlich und durch die sogenannte Außenseiterwirkung sind sie auch auf Arbeitnehmer_innen anzuwenden, die nicht Mitglied jenes Verbands sind, der für die Arbeitnehmer_innenseite verhandelt hat. Derzeit begrenzt das österreichische Arbeitsverfassungsgesetz die Kollektivvertragsfähigkeit allerdings auf Verbände, die entweder ausschließlich Interessen von Arbeitnehmer_innen- oder von Arbeitgeber_innen vertreten – ein nicht unwesentliches Hindernis im Kunst- und Kulturfeld, in dem diese Interessen nur zu oft nicht nur im Verband, sondern sogar in der einzelnen Person kollidieren.
Instrument Eins: Gemeinsame Vergütungsregeln
Beim Urheber_innenrecht sind schon sehr lange Forderungen nach einem deutlichen Ausbau der vertragsrechtlichen Komponenten aufrecht (Stichwort Urheber_innenvertragsrecht/ UVR). Ein kleiner Teil davon wurde mit der Novelle 2021 umgesetzt. Neben anderem wurde die Möglichkeit geschaffen, gemeinsame Vergütungsregeln zwischen Verbänden von Urheber_innen und ihren Verwerter_innen (Verlage, Labels, aber auch Galerien) abzuschließen. Die Regelungsmöglichkeiten sind nicht abschließend aufgezählt, zielen im Kern aber auf Vergütungen nach dem Urheber_innenrecht. Das zentrale Problem ist recht offensichtlich die Suche nach einem verhandlungswilligen Gegenüber. Das zeigt auch die lange Geschichte in Deutschland, wo es aufgrund der Unwilligkeit der Verwerter_innenverbände noch keine Kunst-sparte zu allgemeinen Vergütungsregeln geschafft hat (abgesehen von kleineren, solchen zwischen Verbänden der Urheber_innen und einzelnen Verlagen).
Zuvor hat sich aber ein anderes Problem als virulent herauskristallisiert: Die Regelung in Österreich ist einerseits so großzügig, dass abgeschlossene gemeinsame Vergütungsregeln auf eine ganze Sparte anzuwenden sind. Das heisst allerdings andererseits, dass beide Verhandlungspartner_innen repräsentativ für das jeweilige Feld sein müssen – eine Frage, zu deren Prüfung die Aufsichtsbehörde der Verwertungsgesellschaften verpflichtet wurde. Diese wiederum versteht die Entwicklung von Entscheidungskriterien als Work in Progress. Es gibt also weder Kriterien, noch eine abgeschlossene Prüfung. Der Leiter der Behörde nannte zuletzt in einem Kommentar zum Urheber_innenrechts-Gesetz eine Zahl von 66% der Berufsgruppe als möglichen Wert für Repräsentativität. Nicht geäußert hat er sich allerdings zur Frage, wie die Gesamtzahl der Angehörigen einer künstlerischen Berufsgruppe zu definieren sind. Aktuell sind jedenfalls Akteur_innen aus Musik (Younion und Musiker_innengilde), Literatur (IG Autorinnen Autoren wie auch IG Übersetzerinnen Übersetzer) und der Sprecher_innen (Voice) aktiv an der Arbeit für die Zuerkennung der Repräsentativität. In der bildenden Kunst gibt es noch keine konkreteren Überlegungen, vorstellbar wären aber durchaus Verhandlungen zu Ausstellungsvergütungen.
Instrument Zwei: Leitlinien der europäischen Kommission
In einem bisher beispiellosen Akt hat die europäische Kommission als Hüterin des europäischen Wettbewerbs (Grundpfeiler der EU) entschieden, dass sie in bestimmten Bereichen den Schutz der sozialen Absicherung und eines ausreichenden Einkommens höher bewertet als den wirtschaftlichen Wettbewerb. Hintergrund ist die, oft absurd anmutende, bisherige Haltung, dass alle Selbstständigen, vom Einzelnen bis zum großen Konzern, in diesem Kontext gleich zu behandeln sind. Diese Positionierung erfolgte allerdings nicht durch ein sofort rechtswirksames Instrument, sondern in Form von Leitlinien zur Auslegung des europäischen Wettbewerbsrechts. Entsprechend reicht die juristische Einschätzung von vorsichtig bis enthusiastisch. Einig sind sich die Jurist_innen im Wesentlichen darin, dass die ersten Kollektivverträge nach diesen Leitlinien vor dem EuGH landen werden, wo voraussichtlich nachträglich die Festlegung von Kriterien und Rechtsrahmen erfolgen wird. Zeithorizont: Jahre.
Kollektivverträge für Solo-Selbstständige
Durch diese Leitlinien sollen Kollektivverträge für bestimmte Gruppen von Solo-Selbstständigen ermöglicht werden. Sie adressieren dabei vor allem die stark wachsende Zahl an Solo-Selbstständigen, Probleme mit Scheinselbstständigkeit und der damit einhergehenden Erosion von sozialer Absicherung und nicht zuletzt jene Gruppen von Solo-Selbstständigen, deren Verhandlungsmacht eng von wirtschaftlich viel stärkeren Gegenübern eingeschränkt ist (z.B. Urheber_innen gegenüber ihren Verwerter_innen). Absolut nicht anwendbar sind die Leitlinien in wirtschaftlichen Zusammenhängen zwischen Solo-Selbstständigen und „End-Verbraucher_innen“ (bei Ticket- oder anderen Verkaufspreisen). Und: Die Leitlinien stellen nicht auf die jeweils nationale Gesetzgebung ab. In Österreich braucht es beispielsweise gesetzliche Änderungen, um Verträge nach diesen Leitlinien ins Korsett der Kollektivverträge einzupassen. Geltung haben solche Verträge damit bis auf weiteres nur für die Abschließenden. Wenn das Verbände sind, dann nur für deren Mitglieder. Eine unmittelbar einklagbare Rechtswirkung ist ebenfalls noch ausgeschlossen.
Was tun?
Neben der Durchsetzung von Mindesthonoraren über den Hebel Fair Pay in der Kunst- und Kulturförderung stehen uns heute zwei weitere Optionen zur Verfügung, deren Nutzbarmachung Kreativität und Ausdauer erfordert, aber Ergebnisse liefern kann, welche die faire und angemessene Bezahlung nicht vom Goodwill abhängig machen, sondern zur rechtlich durchsetzbaren Verpflichtung heben. Praktisch gilt es, zuallererst Ansatzpunkte und dann Verhandlungspartner_innen zu finden. Brauchen wird es auch gesetzliche Änderungen, nicht zuletzt um Verhandlungslösungen, auch bei plötzlichem Willensverlust einer Seite, möglich zu machen. Eine simple Zwischenlösung wäre die Übernahme von Mindesthonorarempfehlungen als verpflichtende Mindestsätze in der Kunst- und Kulturförderung auf allen Förderebenen – die Außenwirkung auf den Kunstmarkt bleibt damit aber auch Durchsetzungssache der Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen.
Clemens Christl arbeitet für den Kulturrat Österreich und lebt in Wien.