Um die Frage nach einem womöglich notwendigen Bruch mit der Ironie historisch bewusst anzugehen, bietet sich das Beispiel eines Theoretikers und Revolutionärs an, der diesen denkbar radikal vollzogen hat – und an dem man zugleich zeigen kann, dass es mit solch einem Bruch vielleicht so einfach nicht ist.
Georg Lukács hat seine erste Lebens- und Schaffensphase einmal seine „Essay-Periode“ genannt: Hier hat er sein Leben als Versuch geführt und essayistisch davon Zeugnis abgelegt. Zentrales Element seiner Theorie dieser Zeit war die Ironie. Kurz gefasst ging es darum, dass die Ironie einen theoretischen Vorgriff auf eine Totalität (eine „Lebensganzheit“) ermögliche, die in der gelebten Realität nirgends zu haben ist; ein solcher Vorgriff – Lukács spricht, mit ethischem Zungenschlag, einmal von einer „Gesinnung zur Totalität“ – ist aber nötig, um die „Zerrissenheit“ der Gegenwart überhaupt als negative begreifbar zu machen, und dieser zugleich noch „eine einheitliche Welt“ entgegensetzen zu können. Der Vorgriff auf Totalität findet in der Kunst statt, vornehmlich im Roman, und um die künstlerische Chiffrierung einer in sich gebrochenen Totalität aufzuspüren, muss wiederum eine ironische Essayist*in ans Werk, die die Zerrissenheit in Einheit (oder die Einheit in Zerrissenheit) dann auch wieder sprachlich nachvollziehbar machen kann; sprachliche Mittel sind überraschende Umkehrungen, kontraintuitive Setzungen, entwendete Zitate …
Kurze Zeit später, am Ende des 1. Weltkriegs, macht Lukács Schluss mit den Essays und der Ironie. Er wird Marxist und Kommunist und engagiert sich in der ungarischen Räterepublik. Der Schritt war, so lässt Lukács nie Zweifel aufkommen, vor allem ethisch motiviert: Er konnte die „Frivolität“ seiner alten Lebensform nicht mehr ertragen. Nach ihrer Niederschlagung legt Lukács im Wiener Exil theoretisch Rechenschaft ab vom großen Wagnis der Revolution: 1923 erscheint in Wieland Herzfeldes Berliner Malik Verlag Geschichte und Klassenbewusstsein. In diesem Werk, dessen theoriegeschichtliche Bedeutung schwer zu überschätzen ist, kommt der zuvor so wichtige Begriff der Ironie nur noch in einer einzigen Fußnote vor: Sie wird historisch gewürdigt – als (bloßer!) „Vorreiter der dialektischen Methode“ – und ethisch diskreditiert, weil sie zu einem „noch weiteren Zerreißen der Subjekteinheit“ und zur „Vermehrung der Verdinglichungssymptome“ führe.
Aber was wird aus den theoretischen Problemen, auf die der frühe Lukács mit der Ironie reagiert hat? Sie bleiben erhalten, und „fast ohne alle Ironie“ (Schlegel) möchte ich behaupten, dass die zentrale Kategorie, die der nun marxistische Lukács in Stelllung bringt, strukturell zutiefst ironisch geprägt ist: das Klassenbewusstsein. Nur das Klassenbewusstsein erlaubt jenen Vorgriff auf die kapitalistische Totalität, der notwendig ist, um diese abzuschaffen. Zugleich aber ist das Klassenbewusstsein konstitutiv gespalten in ein „empirisches“, das ganz in der eigenen Verdinglichung aufgeht, und ein „zugerechnetes“, das idealtypisch seine eigene empirische Erkenntnisbeschränkung überschreitet. Diese prekäre Setzung einer Einheit in Spaltung aber ist ohne die Figur der Ironie nicht zu verstehen – egal, ob man sie so nennt oder nicht. Und weitergehend sind auch das Proletariat und seine Partei als ironische Größen aufzufassen: Denn ihre historische Mission, so macht Lukács gegen jede Verherrlichung der Klasse und gegen alle Bürokraten klar, besteht einzig und allein in ihrer Selbstabschaffung – in ihrer „Selbstaufhebung durch Selbsterkenntnis“ (so hatte es in der Theorie des Romans geheißen, hier allerdings über die romantisch-ironische Subjektivität …).
Um dieses intrikate Verhältnis adäquat darstellen zu können, greift Lukács auch in Geschichte und Klassenbewusstsein auf die ganze sprachliche Finesse des gewieften Ironikers zurück; der Untertitel verspricht zwar „Studien über -marxistische Dialektik“, der Verlag weist die Texte in den Bogensignaturen aber als „Essays“ aus, und das sind sie auch. Thomas Mann hat einmal ironisch (und ein bisschen maliziös) von Lukács gesagt: „So lange er sprach, hatte er Recht.“ Das gilt – gewissermaßen wertneutral – auch für Lukács’ marxistische Essays (und sollte vielleicht für jede bessere Theorie gelten): Ihr Wahrheitsgehalt hängt an der sprachlichen Form, und wer bloß die Inhalte referieren wollte, würde unausweichlich marxistische Phraseologie produzieren. Lukács Kritiker in der Komintern jedenfalls kannten ihre Pappenheimer.
Wie steht es nun also um Lukács’ Bruch mit der Ironie? Die Frage impliziert, dass ein solcher überhaupt möglich ist, und das wiederum unterstellt genau jenes starke, selbstbewusste und handlungsfähige Subjekt, dessen Hinfälligkeit die Ironiker von Sokrates über Schlegel bis zu Rorty ja gerade aufdecken wollten. Lukács wusste jedenfalls, dass wir den empirischen Subjekten – auch und gerade den proletarischen – unter den gegebenen Bedingungen nicht zu viel von jener Autonomie aufbürden sollten, die im Entschluss zum endgültigen Bruch aufgerufen wird. Die Subjekte brauchen Hilfe und Stütze, und die finden sie (vielleicht…) in einem Bewusstsein, das sich permanent über seine eigene Begrenztheit verständigt – und diese damit partiell und immer auf Widerruf überschreitet; in starken Organisationsformen – die genau deshalb, in all ihrer Stärke, an der eigenen Überflüssigmachung arbeiten; und in einer Sprache, die nicht bloß als Repräsentationsinstanz von bereits sicherem (theoretischem und strategischem) Wissen gebraucht wird, sondern die dem eigenen Witz vertraut und so zu einem heuristischen, prekären, versuchenden Mittel wird, das selbst immer schon mehr weiß als diejenigen, die ach so souverän über es verfügen wollen.
Patrick Eiden-Offe ist Literaturwissenschaftler und arbeitet am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin.