Seit einiger Zeit lässt sich ein gleichermaßen beunruhigender wie verwirrender Trend beobachten, den Jasbir Puar unter dem Schlagwort „Homonationalismus“ (Puar 2007) analytisch greifbar gemacht hat. So wird die rechtliche Anerkennung von bestimmten gleichgeschlechtlichen Beziehungen in „westlichen“ Demokratien vermehrt ins Feld geführt, wenn es um die Abgrenzung gegenüber als „rückständig“ stilisierten Anderen geht. Insbesondere seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 avancieren neben Frauenrechten also auch Homo-Rechte zu einem entscheidenden Gradmesser für gesellschaftlichen Fortschritt – selbst wenn diese erst vor Kurzem und nur eingeschränkt eingeführt wurden.
Während in Deutschland schon seit längerem über Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen als grundlegender (europäischer) Wert und Messlatte für Integrationswilligkeit diskutiert wird, verläuft die Debatte in Österreich und der Schweiz bislang noch eher zurückhaltend. Doch die Tatsache, dass die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaften im vom Innenministerium Anfang 2016 herausgegebenen „Asylwerber Folder“ (http://www.refugee-guide.at/) zu einer der österreichischen „Grundregeln“ aufgestiegen ist, die Geflüchteten näher gebracht werden muss, lässt vermuten, dass sich dies auch hierzulande bald ändern könnte.
Neben der Instrumentalisierung von Homo-Rechten von staatlicher Seite tragen vermehrt auch lesbischwule NGOs dazu bei, die Projektion von Homophobie auf (bestimmte) migrantische Communities zu verstärken. Ich möchte zur Veranschaulichung der Problematiken solcher – oft „gut gemeinter“ – Aktionen in aller Kürze auf eine 2010 von mehreren Schweizer NGOs lancierte Plakatund Postkartenserie eingehen, anhand derer sich wesentliche Aspekte und Implikationen des Othering exemplarisch herausarbeiten lassen.[1]
Auf den Abbildungen zu sehen ist ein Ausschnitt einer Weltkarte vor gelbem Hintergrund, aus der – aus der Höhe Zentralafrikas – eine Sprechblase aufsteigt, in der sich je einer der folgenden Slogans in albanischer, arabischer, englischer, französischer, serbischer, tamilischer oder türkischer Sprache findet: „Mein Sohn ist schwul. Warum sollte ich ihn deshalb weniger lieben?“, „Meine Tochter ist lesbisch. Warum sollte ich sie deshalb weniger lieben?“, „Lesbisch? Schwul? Wir unterstützen dich!“ und „Kein Hass gegen Lesben und Schwule. Unterstütze uns!“. Darunter findet sich in kleinerer Schrift eine Übersetzung ins Deutsche.
Während die mit der Platzierung der Sprechblase einhergehende geographische Verschiebung suggeriert, dass Homophobie etwas Importiertes ist, das eigentlich nichts mit der Schweiz zu tun hat, erzeugt die inhaltliche und sprachliche Auswahl der Slogans eine klare Abgrenzung der Adressat_innen der Aktion von denjenigen, die das Problem adressieren: Das paternalistische „Wir“ der Schweizer Organisationen wird einem konstruierten „Ihr“ gegenübergestellt, in dessen Namen gesprochen, dem geholfen oder das belehrt werden muss, einem „Ihr“, das albanisch, arabisch, englisch, französisch, serbisch, tamilisch oder türkisch versteht – denn bezeichnenderweise findet sich in keiner der Sprechblasen ein deutscher, italienischer oder rätoromanischer Slogan.
Diese klare Rollenverteilung führt nicht nur zu einer Kategorisierung von „Menschen aus fremden Kulturen, denen Mut gemacht werden soll, zu ihrer Neigung oder der ihrer Angehörigen zu stehen“[2] als homophob, rückschrittlich und hilfsbedürftig, sie lässt auch die Schweiz als fortschrittlich und tolerant erscheinen. Damit wird es zum einen ungleich schwieriger die staatliche Homophobie, die sich beispielsweise im Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare zeigt, als solche zu benennen. Zum anderen geschieht die Identifizierung mit der „toleranten“ Mehrheitsgesellschaft zum Preis einer erneuten Marginalisierung von migrantischen Queers als zu unterstützende Opfer ihrer rückschrittlichen „Herkunftskultur“.
Durch diese bereitwillige Mitwirkung an der Verfestigung einer einschlägigen Opfer/Täter-Logik lassen sich Lesben und Schwule nicht nur für wachsende rassistische Repressionen gegenüber „integrationsunwilligen Migrant_innen“ instrumentalisieren, sie tragen diese zum Teil aktiv mit. Es gilt daher, das strategische Interesse an Homo-Rechten und homophober Hasskriminalität mit ähnlichem Argwohn zu betrachten wie das plötzlich erwachte Interesse an Gewalt gegen Frauen in Zusammenhang mit den Ereignissen der Silvesternacht in Köln.
Sushila Mesquita arbeitet im Referat Genderforschung der Universität Wien und lehrt an verschiedenen Universitäten postkolonial/queere Theorien.
Literatur
Mesquita, Sushila (2011): Ban Marriage! Ambivalenzen der Normalisierung aus queer-feministischer Perspektive, Wien: Zaglossus.
Mesquita, Sushila/Patricia Purtschert (2016): Challenges to Coalition Building against Homophobia in Postcolonial Switzerland, in: Gardey, Delphine/Kraus, Cynthia (eds.): Politiques de la Penser et se mobiliser avec Judith Butler, Zürich: Seismo.
Puar, Jasbir (2007): Terrorist Assemblages: Homonationalism in Queer Times, Durham: Duke University Press.
[1] Der ursprüngliche Link zur gesamten Kampagne ist nicht mehr abrufbar, eines der Sujets findet sich aber hier: http://gaybern.ch/magazin/artikel/2010/04/27/schwule_und_lesben_mit_ migrationshintergrund. Ich habe mich an anderer Stelle detaillierter mit den Kampagnen beschäftigt (Mesquita 2011; Mesquita/Purtschert 2016)
[1] vgl. https://gaybern.ch/magazin/artikel/2010/04/27/schwule_und_ lesben_mit_migrationshintergrund