Halt dich fest: Ein Protestlied für acht Stimmen und mehr

Glosse

Komponiert aus Liedern1, die in Brasilien, Deutschland und Indien in den letzten Jahrzehnten gegen soziale und ökologische Zerstörungen gesungen wurden.

Stimme 1: Irgendwo, im einundzwanzigsten Jahrhundert, leben viele im Fünf-Sterne-Luxus. Warum zählen Arbeiterinnen, Indigene und Bauern nicht zu jenen, die ein Recht haben auf Land? Hör’ nicht auf Fragen zu stellen. Diejenigen, die die Erde ertränken, wie können ausgerechnet sie den Himmel bringen?
Stimme 2: Wie können die den Himmel bringen, die uns nur das Blaue von ihm versprechen? Die nicht sehen, dass der Himmel alle Farben spielt; die nicht hören, wie er unsere Zungen beflügelt; die nicht fühlen, dass das Leben sich woanders abspielt, abseits ihrer luftigen Höhen. Lasst uns den Himmel auf Erden offen halten.
Stimme 3: Wir halten den Himmel auf, damit er nicht auf die Erde herabstürzt
Stimme 4: und uns unter falschen Hoffnungen begräbt.
Stimme 1: Wenn du lebendig bist, geh’ den Weg des Lebens. Fordere Tod und Zerstörung heraus. Diese Dämme werden weiterhin gebaut. Diese Menschen werden weiterhin vertrieben. Die Träume von Generationen werden in Stücke gerissen. Diejenigen, die die Erde ertränken, wie können ausgerechnet sie den Himmel bringen?
Stimme 2: Wie können die den Himmel bringen, die unsere Träume zerfetzen? Die alles niederwalzen, was nicht glatt genug für sie ist; die alles beschneiden, was ihnen über den Kopf wächst; die alles in einen Topf werfen, um ihn auf kleiner Flamme zu halten. Unsterblich sind die, die nicht siegen.
Stimme 5: Die den Stein auf den Berg rollen.
Stimme 2: Die Nacht für Nacht die Flamme wachhalten.
Stimme 5: Die den Wolken nicht nur die Stirn, sondern auch ihr Herz bieten
Stimme 6: und den tiefen Wassern lauschen.
Stimme 1: Hör nicht auf Fragen zu stellen. Wenn du lebendig bist, geh’ den Weg des Lebens.
Stimme 7: Halt’ dich an deinem Leben fest.
Stimme 8: Und streiche dich nicht durch.
Stimme 7: All die Lügen geben dir den Rest.
Stimme 8: Halt dich fest.
Stimme 4: Klammere dich nicht ein.
Stimme 2: Verlier’ nicht den Kopf.
Stimme 5: Und nicht dein Herz.
Alle zusammen als Kanon: Fordere Tod und Zerstörung heraus. Diejenigen, die die Erde ertränken, wie können ausgerechnet sie den Himmel bringen? Lasst uns den Himmel auf Erden offen halten. Hör’ nicht auf Fragen zu stellen. Wir halten den Himmel auf, damit er nicht auf die Erde herabstürzt. Wenn du lebendig bist, geh’ den Weg des Lebens. Unsterblich sind die, die nicht siegen, die den Stein auf den Berg rollen, die ihre Zungen beflügeln und falsche Hoffnungen begraben. Diejenigen, die die Erde ertränken, wie können ausgerechnet sie den Himmel bringen? Die Lügen geben dir den Rest. Halt dich fest. Hör’ nicht auf Fragen zu stellen. Der Himmel spielt alle Farben. Klammere dich nicht ein, geh’ den Weg des Lebens. Wir halten den Himmel auf. Wir halten den Himmel offen. Wir halten die Flamme wach. Wenn du lebendig bist, halt an deinem Leben fest. Fordere Tod und Zerstörung heraus. Die Erde ertränken. Den Himmel bringen. Diese Lügen machen dir Beine. Wenn du lebendig bist, geh’ den Weg des Lebens.

1 Bei diesen Liedern handelt es sich um If you are alive, walk along the path of life der Protestbewegung Bachao Andolan in Indien (nachzulesen in: Ulrike Bürger: Staudamm oder Leben! Indien: -Widerstand an der Narmada. Heidelberg: Verlag Graswurzelrevolution 2011; übersetzt aus dem Englischen von E.S.), um Auszüge aus Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen von Ailton Krenak (aus dem Brasilianischen Portugiesisch von Michael Kegler, München: btb 2021) sowie um Halt dich an deiner Liebe fest von Ton Steine Scherben.


Eva Schörkhuber lebt als Schriftstellerin und Kulturwissenschafterin in Wien. Zuletzt erschienen ist der literarische Essay Die wunderbare Insel. Nachdenken über den Tod.