Es geht um nicht weniger als darum, „unsere Zukunft neu zu denken und selbstbestimmt zu gestalten.“ Den Sinn der Commons-Debatte bringen Silke Helfrich und David Bollier schlicht auf den Punkt – in der zweifellos besten Einführung in das Thema, dem von Helfrich und der Heinrich Böll Stiftung herausgegebenen Sammelband. Darin werden sowohl theoretische Perspektiven als auch ganz praktische Projekte diskutiert, und das von AutorInnen aus 30 Ländern. Bei diesem Überblick hat das Buch die „doppelte Gefahr der Kooptierung und Domestizierung“ durchaus im Blick. Und es ist eine eindringliche Warnung gegen die noch „intensivere Ressourcenausbeutung, [die] Förderung des Freihandels, [die] Privatisierung von absolut allen Dingen, [die] Fixierung auf ein unbegrenzte Ressourcenverfügbarkeit voraussetzendes, ungebremstes Wachstum“ (Maude Barlow). In der Sozialtheorie der Linken hat daher das Gemeinsame enorm an Bedeutung gewonnen. Antonio Negri und Michael Hardt nehmen es in Common Wealth überhaupt zum Ausgangspunkt für eine politische Theorie der Gegenwart. Dabei geht es zwar auch, aber viel weniger als in Empire darum, die Produktivität der Körper und die kolonialen Formen der Biomacht zu analysieren. Noch mehr stehen Möglichkeiten des Widerstands und der Subversion im Vordergrund. Das ganze Projekt zielt darauf, „das Gemeinsame und seine Potenziale zurückzugewinnen und sogar auszuweiten.“ Einerseits wird politisch darauf gedrängt, „das Gemeinsame ins Zentrum des Wirtschaftslebens [zu] rücken.“ Andererseits scheint es den optimistischen Annahmen der Autoren zufolge auch von selbst zu gehen, können doch weder „staatliche noch private Mechanismen“ das Gemeinsame „lenken oder eindämmen“. Für mehr Lenkung plädiert Christian Felber. Er will das zwar nicht Protektionismus nennen, lässt aber keinen Zweifel daran, dass „öffentliche Güter und Commons vor Wettbewerbsmärkten“ geschützt werden müssen. Dafür fordert Felber einen „verfassungsgebenden Prozess“. Die Gemeinwohl-Ökonomie wird hier in bewundernswerter Klarheit als Vorschlag für eine „souveräne Demokratie“ im globalen Institutionengeflecht entfaltet. Auch der Philosoph Alain Badiou möchte zu einer „globalen Verwaltung des Gemeinguts […] gelangen“. Im Gespräch mit Peter Engelmann, in dem er überhaupt viele seiner Thesen schnörkellos auf den Punkt bringt, nennt er Mittel und Ziel beim Namen: „Der Kommunismus meint im Grunde genau das: das Gemeinwohl. Nichts weiter!“ Mit den Undercommons beziehen sich Stefano Harney und Fred Moton zwar auf die Gemeingüterdebatte, wollen sie aber zugleich unterlaufen und ihr entfliehen. Die Undercommons sind Praxis und Haltung zugleich. Sie richten sich gegen die „Gouvernance“ als „Management des Selbstmanagements“. Auch wenn es Politisierung als „die Arbeit des Staatesdenkens, die Arbeit des Kapitals heute“ beschreibt, steht das Manifest doch in der Tradition von politischen Ideen der Weigerung und des Ausweichens: Von Herbert Marcuses „großer Weigerung“ über Michel Foucaults mikropolitisches „Gegen-Verhalten“ bis zu Paolo Virnos „Exodus“. Es verwebt Momente antikolonialistischen Kampfes mit theoretischem Anti-Essenzialismus. Und nicht zuletzt beerbt es zweifellos die wortgewaltigen, antikapitalistischen Texte des Situationisten Guy Debord und des Anarcho-Taoisten Hakim Bey.
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker an der Akademie der bildenden Künste Wien
Alain Badiou: Für eine Politik des Gemeinwohls. Im Gespräch mit Peter Engelmann. Wien 2017 (Passagen Verlag).
Christian Felber: Ethischer Welthandel: Alternativen zu TTIP, WTO & Co. Wien 2017 (Deuticke/ Zsolnay Verlag).
Stefano Harney und Fred Moton: Undercommons. Flüchtige Planung und schwarzes Studium. Wien/ Linz/ Berlin/ London/ Zürich 2016 (transversal texts).
Silke Helfrich und Heinrich Böll Stiftung (Hg.): Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielfeld 2012 (Transcipt Verlag).
Antonio Negri und Michael Hardt: Comon Wealth. Das Ende des Eigentums. Frankfurt am Main/ New York 2009 (Campus Verlag).