Wenn Achille Mbembe die alltägliche wie institutionelle Einübung des Rassismus im kolonialen Frankreich schildert, meint er nicht nur historisch und geografisch Abgeschlossenes. Die antrainierten Vorstellungswelten erfahren demnach ihre Fortsetzungen im gegenwärtigen „Aufstieg des Sicherheitsstaates“. Die „Rasse“ ist dabei das Instrument, um „das Überschüssige zu benennen“. Sie erlaube es, die Menschen, „die man stigmatisieren, moralisch disqualifizieren und schließlich einschließen oder vertreiben möchte, in abstrakte Kategorien einzuordnen.“ So beeindruckend das Verschmelzen von historischer Rekonstruktion, Diskursanalyse und Gegenwartsdiagnose einerseits ist, so problematisch bleiben doch die analytischen Verknüpfungen von transatlantischem Sklavenhandel und neoliberalem Freihandel. Dass sich letzterer nicht ohne Kolonialismus hätte entwickeln können, macht die Ausgeschlossenen der Gegenwart nicht, wie Mbembe aber zuweilen nahe legt, zu Schwarzen Sklaven. Die Kolonialgeschichte spielt in Dieter Hallers Rekonstruktion der deutschen Ethnologie hingegen kaum eine Rolle. Dennoch hat die Verknüpfung von Disziplin- und Zeitgeschichte ihren Reiz, etwa wenn Haller aufzeigt, dass viele Studierende in den 1980er Jahren „in fremden Kulturen Antworten und Alternativen suchten“ und in die Ethnologieseminare strömten. Trotz „Ethnoboom“ allerdings stagnierte das Fach, erst die drängender werdende Migrationsproblematik und der „postkoloniale Wandel“ brachten die Ethnologie mit ihrer „Faszination für das Fremde“ wieder auf die Höhe des Geschehens. Fremdheit ist ohnehin nicht anders zu verstehen als ein „Ergebnis von Differenzierungs- und Konstruktionsprozessen im Rahmen kultureller und sozialer Kontexte und Machtverhältnisse“, wie Andrea Wilden in ihrer Studie aufzeigt. Sie zeichnet die Entwicklung dieser anties- senzialistischen Perspektive vom Existenzialismus bis zur postkolonialistischen Theorie handbuchartig nach – nicht ohne eigene Positionierungen, wie etwa Giorgio Agambens Fremdheitskonstruktion (zu Recht) eines „ethnozentrischen Blicks“ zu bezichtigen oder Stuart Halls Materialismus auszublenden (zu Unrecht). Yasar Aydins Studie thematisiert Fremdheit als abwertende Fremdzuschreibungen. Diese rufen „Ungerechtigkeit, Ausgrenzung“ hervor, die nicht nur in wissenschaftlichen und alltäglichen Diskursen aufgezeigt werden, sondern auch in institutionellen, sozialen Praktiken: Arbeitsmarkt, Bildungssystem, Wohnungsmarkt. Nicht zuletzt insofern wird die Analyse von Fremdheit nicht nur als theoretische verstanden, sondern ist, so Aydin, „auch als politisch anzusehen“. Dass in der Sphäre des Politischen dem Staat eine besondere Rolle in der Fremdheitskonstruktion zukommt, kann Lisa Grösel in ihrer ebenso detailreichen wie theoretisch informierten Studie zur österreichischen „Ausländerpolitik“ aufzeigen. Die für „staatliche Politik prioritäre Strategie, das Akkumulationssystem zu stabilisieren“ wird dabei mit „vorstellungsweltlichen Diskursen“ gekoppelt. Im Band Quo vadis, Völkerundemuseum? geht es u.a. darum, eine „aus der Repräsentationskritik erwachsende, emanzipierte und selbstbewusste Forschung und Museumspraxis neu zu etablieren“ (Maike Powroznik). Zwischen Universität und Museum werden die aktuellen Debatten um ethnologische Forschung und Theorie geführt. Der postkolonialistische Auftrag der „Hinterfragung und Kontextualisierung“ (Anne Slenczka) soll dabei im Wesentlichen mit dem Reiz versöhnt werden, „fremde“ Objekte zu betrachten.
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker.
Yasar Aydin: Topoi des Fremden. Zur Analyse und Kritik einer sozialen Konstruktion, UVK, Konstanz 2009.
Lisa Grösel: Fremde von Staats wegen. 50 Jahre „Ausländerpolitik“ in Österreich, Mandelbaum, Wien 2015.
Dieter Haller: Die Suche nach dem Fremden: Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990, Campus, Frankfurt a.M. / New York 2012.
Michael Kraus, Karoline Noack (Hg.): Quo vadis, Völkerkundemuseum? Aktuelle Debatten zu ethnologischen Sammlungen in Museen und Universitäten, transcript, Bielefeld 2015.
Achille Mbembe: Kritik der schwarzen Vernunft, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2014
Andrea Wilden: Die Konstruktion von Fremdheit. Eine interaktionistisch-konstruktivistische Perspektive, Waxmann, Münster / New York / München / Berlin 2013