Es lohnt sich, gemeinsam zu kämpfen!

... für gute Förderpolitik, faire Bezahlung und Vereinbarkeit von Elternschaft und Kunst

Vasilena Gankovska im Gespräch mit Eva-Maria Bauer vom Österreichischen Musikrat (ÖMR) über die Spezifika in der Musikbranche in Bezug auf Förderungen, Fair Pay (Gap) und Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufsleben.

Vasilena Gankovska: Ich möchte über „problematische Förderpraktiken“ sprechen, wenn nur ein Anteil des beantragten Projekts gefördert wird und diese Unterfinanzierung einiges an Problemen mit sich bringt – Künstler:innenhonorare werden abgesetzt, das Projektmanagement wird sogar „ehrenamtlich“ gemacht. Wie können wir aus dieser Falle heraus? Was sollte sich, ausgehend aus deiner Erfahrung und Tätigkeit für den ÖMR ändern?

Eva-Maria Bauer: Meine wichtigste Erkenntnis dazu aus dem bundesweiten Fair Pay Prozess seit 2020: Wir müssen in den Köpfen etwas ändern, sowohl in den Förderstellen als auch bei den Künstler:innen – es ist eine Mentalitätsfrage. Jahrzehntelang war es gängige Praxis bei Musiker:innen, die Summe von Förderanträgen prinzipiell höher anzusetzen in der Hoffnung, zumindest einen Teil des tatsächlich benötigten Betrags zu erhalten. Die Fördergeber:innen wiederum haben nach dem Gießkannenprinzip viele Projekte gefördert, aber oftmals nicht in der beantragten Höhe. Das Ergebnis: Künstler:innen mussten dort einsparen, wo es noch ging – bei ihrer eigenen Gage. Besonders Produktions- und Projektmanagementleistungen blieben sehr oft unbezahlt oder wurden erst gar nicht kalkuliert, um Projekte leistbarer zu machen. Im Fachterminus nennen wir so etwas „unfreiwilliges Ehrenamt“.

Vasilena Gankovska: Wie können Fair Pay Maßnahmen dabei helfen, um eine Kehrtwende in solchen Förderpraktiken zu bewirken?

Eva-Maria Bauer: Wir haben durch den Fairness Prozess eine sehr gute und regel-mäßige Gesprächsbasis mit den Förderstellen. Wir konnten ihnen eindringlich vermitteln, was eine solche Förderpraxis anrichtet und ich bin stolz, sagen zu können, dass sowohl im Bund als auch im Land ein Umdenken stattgefunden hat. Natürlich steht erstmals seit langer Zeit auch mehr Geld zur Verfügung. Die Lösung klingt simpel: kostenwahr kalkulieren, Fair Pay einreichen, gezielter aber in voller Höhe fördern. Für viele Künstler:innen ist das allerdings noch Neuland. Es braucht in jedem Fall verstärkt Workshops für Künstler:innen zur Budgetkalkulation und Fördereinreichung, aber auch Ermutigung die eigene Leistung nicht zurückzustellen, sondern fair einzupreisen. Langfristig gesehen brauchen wir an den Kunstuniversitäten eine bessere Vermittlung von wirtschaftlichem Know-how, damit Künstler:innen ihren eigenen Wert besser einschätzen und sich am Markt besser positionieren können. Und wir brauchen endlich eine Valorisierung der Kulturförderbudgets, denn sonst wird der Effekt der Fair-Pay-Gelder rasch verpuffen.

Vasilena Gankovska: Wie sieht das Fair Pay Gap bei den Kolleg:innen, die als freischaffende Musiker:innen tätig sind, aus? Gibt es Unterschiede im Vergleich zu Musiker:innen im Angestellten-Verhältnis?

Eva-Maria Bauer: Ähnlich wie bei bildenden Künstler:innen ist es auch im Musiksektor so, dass Freischaffende sowohl von der Höhe ihres Einkommens als auch bei der sozialen Absicherung am stärksten von Prekariat und Armutsgefährdung betroffen sind. Der Fair-Pay-Gap ist bei ihnen signifikant höher als bei Musiker:innen, die (auch) in Anstellung tätig sind. Der Trend geht daher zu hybrider Beschäftigung – also einer Kombination von unselbstständiger und selbstständiger Tätigkeit. Bei Hybridbeschäftigten ist das Gehalt im Durchschnitt durchgehend höher. Das Problem im Hinblick auf Fair Pay sehe ich darin, dass die bisherigen Maßnahmen vor allem in den Bundesländern primär bei angestellten Kulturarbeiter:innen und Institutionen ansetzen. Die freie Szene ist weniger strukturiert, schwerer zu erreichen und wurde daher bislang weniger anvisiert.1

Vasilena Gankovska: Die IG Bildende Kunst hat vor Jahren den Arbeitsschwerpunkt „Kunst und Kind“ initiiert, um darauf aufmerksam zu machen, dass vieles im Kunstbetrieb die Vereinbarkeit zwischen Elternsein und künstlerischer Tätigkeit schwer bis unmöglich macht. In der Musikbranche gibt es auch viele Kolleg:innen, die unregelmäßige Arbeitszeiten haben, freischaffend tätig und somit auf jede Einnahme-Quelle angewiesen sind. Außerdem ist auch die Erwartungshaltung hoch, weiterzumachen, also ist die Karenzzeit ein kritischer Moment, wo sich viele fragen, „Wie schaffe ich das?“. Was wären die Strategien, damit dieser Spagat zwischen Elternschaft und künstlerisch tätig aus deiner Sicht gelingt? Gibt es Ideen für konkrete Maßnahmen?

Eva-Maria Bauer: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle würde dieses Problem lösen, ist aber aus politischer Sicht derzeit nicht realistisch. Was vielleicht durchführbar wäre: ein zeitlich beschränktes Grundeinkommen während einer klar definierten Pflege- und Elternzeit für etablierte Künstler:innen unabhängig vom Geschlecht. Es gibt in anderen europäischen Ländern interessante Vorbilder und Ansätze dazu, etwa das Modell „Intermittence du Spectacle“2 aus Frankreich. Eine Förderung für private Kinderbetreuung oder ausreichende Kinderbetreuungsplätze abends und am Wochenende in den Bundesländern zu haben, wäre sehr wichtig und sinnvoll, da dies nun einmal die Hauptarbeitszeiten für Musiker:innen sind. Die (teure) private Kinderbetreuung finanzieren zu müssen, ist ein echter Wettbewerbsnachteil für Künstler:innen mit Kinderbetreuungspflichten, ganz besonders für Frauen.

Vasilena Gankovska: ÖMR und IG Bildende Kunst sind Teil vom Kulturrat Österreich. Welche Themen und Anliegen verbinden uns besonders, welche gemeinsamen Strategien können wir verfolgen beispielsweise in Bezug auf die Etablierung von fairer Bezahlung?

Eva-Maria Bauer: Bildende Kunst, Literatur und Musik ähneln sich in vielerlei Hinsicht in Bezug auf Beschäftigungsstrukturen und Arbeitsbedingungen am Markt. Daher macht es Sinn, gemeinsam für bessere Rahmenbedingungen zu lobbyieren. Ganz konkret tun wir das derzeit zum Beispiel spartenübergreifend beim Thema Kunstvermittlung. Für Musikvermittlung gibt es derzeit kein eigenes Berufsbild und auch keinen Berufsverband. Daher gab es im Herbst 2022 erste vorsichtige Gespräche über einen gemeinsamen Dachverband. Meine Zukunftsvision für die flächendeckende Umsetzung von Fair Pay ist die Gründung einer Kammer für freischaffende Künstler:innen, die auch Kollektivverträge verhandeln können soll. Im Oktober 2022 hat die Europäische Kommission erstmals Leitlinien veröffentlicht, wie Kollektivverträge auf die freie Szene angewandt werden können.3 Das war ein völlig neuer Gedanke für uns! Bislang standen die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen dem entgegen. Stellen Sie sich vor es gäbe verbindliche Honoraruntergrenzen für freischaffende Künstler:innen. Reine Zukunftsmusik? Ich finde, dafür würde es sich lohnen, gemeinsam zu kämpfen. 

 

1 Vgl. Shadow-Study der IG Freie Musikschaffende (April 2022), die im Rahmen des Fair Pay-Prozesses durchgeführt wurde und sich mit der Einkommenssituation von freischaffenden Musiker:innen befasst. www.igfmoe.at/shadow-umfrage-der-igfm–dramatische-ergebnisse / Vgl. Music Career Check – Erhebung der Universität für Weiterbildung Krems (März 2023) zu Rahmenbedingungen und Know-how für die berufliche Praxis am Musikmarkt. www.donau-uni.ac.at/de/universitaet/fakultaeten/bildung-kunst-architektur/departments/kunst–kulturwissenschaften/zentren/angewandte-musikforschung/news/news/2023/music-career–check–praesentiert0.html

2 „Intermittence du Spectacle“ – ein Modell auch für Österreich?” www.oemr.at/dossier-intermittence- du-spectacle-ein-modell-auch-fuer-oesterreich/

3 Leitlinien zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen im Oktober 2022 verabschiedet. www.kulturrat.at/kollektivvertraege- fuer-selbststaendige


Eva-Maria Bauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Angewandte Musikforschung der Universität für Weiterbildung Krems, Musikmanagerin bei Musikfabrik NÖ und Vize-Präsidentin des Österreichischen Musikrats.

Vasilena Gankovska ist bildende Künstlerin und Teil der Bildpunkt-Redaktion.