Einem Ende der Identitätspolitiken entgegen?

Von der Intersektionalität zum dekolonialistischen Feminismus

Von einem Standpunkt aus, der die Untersuchung des Rassismus nicht von jener der Geschlechterunterdrückung trennt, können wir die separaten Analysekategorien miteinander verbinden und darlegen, warum es sich nicht mehr nur um Überschneidungen oder Kreuzungen handelt, sondern um dieselbe Matrix, die modern-koloniale rassistische Geschlechtermatrix.

Auf dem langen Weg zu einem dekolonialen Feminismus haben uns viele der Probleme systematisch zur Frage nach dem Subjekt des Feminismus geführt, dem wir verpflichtet sind. Dies war eine wichtige Frage, die sich durch die verschiedenen Momente und kritischen Situationen zieht, die wir durchlaufen haben. Als autonome Feministinnen wussten wir seit den 1990er Jahren, dass unsere Interessen nicht mehr mit denen der institutionellen Feministinnen übereinstimmten; und seit Beginn des neuen Jahrhunderts waren wir gezwungen, die „Natürlichkeit“ des Subjekts „Frauen“ im Feminismus in Frage zu stellen und uns in den Debatten zwischen denjenigen zu positionieren, die sich einer Position der sexuellen Differenz zuschrieben, und denen, die diese Differenz als ontologisch abtaten und die damit neue Möglichkeiten eröffneten, jenseits der Idee des sexuellen Dimorphismus Frau oder Mann zu sein. Diese Debatten haben uns ausgiebig erschöpft und ausgezehrt.

Die dekoloniale Wende und die Vertiefung eines antirassistischen Feminismus verstärken meinem Verständnis nach den Angriff auf das universalistische, von seinen klassen- und race-bezogenen Herkünften abgelöste Subjekt „Frau“. Aber sie verkompliziert auch das Machtmuster noch mehr, was es fast unmöglich macht, eine Politik der Identität im alten Format aufrechtzuerhalten. Schließlich stellt sich die Frage, wer eine feministisch-dekolonialistische Handlungsfähigkeit herstellt.

Es wäre wirklich absurd zu denken, dass diese Handlungsfähigkeit ohne das durch das moderne koloniale Geschlechtersystem unterdrückte Subjekt auskommen kann. Und deshalb ist die Idee eines Feminismus ohne Frauen, wie sie von einer Gruppe in Chile vorgeschlagen wird, die sich „postfeministisch“ nennt, mehr als abwegig; ebenso absurd wäre es, an eine antirassistische Politik ohne die Präsenz und die Allgegenwärtigkeit der Körper zu denken, die vom kolonialen kapitalistischen System systematisch verletzt werden, das heißt, jener Körper, die als Schwarz-indigen-barbarisch produziert und identifiziert werden; ebenso abwegig wäre es, einen Kampf gegen das heterosexuelle Regime ohne die lesbischen, trans oder in Rebellion gegen dieses Regime befindlichen Körper zu denken.

Was passiert nun, wenn diese Regimes beginnen, sich untereinander zu verschmelzen und Subjekte hervorbringen, die von multiplen Positionen der Unterdrückung und Privilegien durchzogen sind? Ohne die Ziele aufzugeben, die wir für die Demontage dieser Regime vorschlagen, und ohne die Allgegenwärtigkeit aufzugeben, die unsere Körper angesichts der Position der Unterdrückung, die sie erleiden, für eine feministische, antirassistische und antikolonialistische Politik gegen das heterosexuelle Regime haben, ist doch die Frage, ob es möglich ist, an eine Solidarität und ein politisches Projekt zu appellieren, das um diese Ziele herum organisiert ist, während wir zugleich die historische Schuld anerkennen, die aus Identitätspositionen auf einer niedrigeren Stufe von Privilegien erwächst. Von dort aus könnten weiße-mestizische bürgerliche Subjekte und das ganze Spektrum von Geschlechts- und sexuellen Identitäten, das durch die moderne koloniale Geschlechtermatrix hervorgebracht wird, dank der Intervention zeitgenössischer urbaner sozialer Bewegungen – Frauen, Männer, Trans, Transvestiten, Lesben – auch für ein antirassistisches und dekolonialistisch-feministisches Projekt arbeiten, indem sie gegen ihr eigenes Privileg arbeiten (im Falle des Mannes, als Mann; im Falle der weißen-bürgerlichen Frau oder Trans-Frau, als weiß-bürgerlich …) und gegen die Regimes, die das möglich machen.

Der Ansatz wäre nicht, uns zu fragen, ob es möglich ist, dass wir in den Aktionsräumen des antirassistischen und dekolonialistischen Feminismus mit Subjekten koexistieren, die von dem, was traditionell als die Gruppe der „Frauen“ betrachtet wurde, ausgeschlossen wurden, oder mit nicht-rassifizierten Subjekten. Das Problem auf diese Weise zu konstruieren, würde bedeuten, weiterhin einem universalistischen und totalisierenden Verständnis von „Frauen“ oder dem Subjekt des Rassismus anzuhängen … als Subjekte, die sich immer in einer Position der Unterordnung befinden. Das würde bedeuten, Frauen weiterhin als eine Gruppe zu denken, ohne zu erkennen, dass es innerhalb dieser „Anderen“ (außerhalb des „Wir“) auch „Frauen“ gibt, genauso wie es innerhalb des „Wir“ subalterne Männlichkeiten innerhalb des kapitalistischen oder kolonialen Regimes gibt.

Das Problem auf diese Weise anzugehen würde weiterhin die Idee reproduzieren, dass man, um gegen ein Regime zu kämpfen, das von diesem Regime produzierte und unterworfene Subjekt sein muss. Diese Art, eine politische Einheit auf der Basis zu konstruieren, dass sie nur von denen gelebt werden kann, die sich in einer Position der Unterdrückung befinden, ist unmöglich mit der Überzeugung zu vereinbaren, die dekolonialistische Feministinnen vertreten, dass Unterdrückung ko-konstitutiv und interdependent wirkt.

Wenn ich eingestehe, dass es „Frauen“ gibt, die Vorrechte und Privilegien genießen, die für andere Frauen unerreichbar sind, wird es zumindest kompliziert, eine separatistische Position zu rechtfertigen, die allein auf dem vom Patriarchat produzierten „Frausein“ basiert (was immer das an dieser Stelle bedeuten würde). In jedem Fall könnte die Aufrechterhaltung einer separatistischen Position, die auf einem verflochtenen Verständnis von Unterdrückung basiert, nur die Konstruktion politischer Räume implizieren, in die wir nur (und vorläufig) als rassifizierte Arbeiter*innen-Nachkommen aus den Ländern des Südens passen würden … das heißt, eine Reihe von Compañeras, die uns begleiten und mühsam gegen Kolonialität und Geschlechterrassismus arbeiten, würden von dieser Konstruktion ausgeschlossen.

Dieses Dilemma erinnert mich sehr an das, das innerhalb der Schwarzen Bewegungen aufgetreten ist. An einem bestimmten Punkt war es unabdinglich, die Notwendigkeit von Artikulationen und Koalitionen innerhalb einer großen Bewegung des antirassistischen Kampfes zu überdenken, in der alle Menschen gegen das rassistische Regime zusammengeschlossen sein würden; es ist offensichtlich, dass weiße und weiß-mestizische Menschen mit Privilegien innerhalb der auf unserem Kontinent waltenden „Pigmentokratie“, die antirassistische Politik machen, sich nicht mit dieser Bewegung verbinden, weil sie „genauso unterdrückt“ würden wie rassifizierte Menschen; stattdessen sind sie einfach da, weil sie kämpfen, und sie tun es, sie engagieren sich, um dieses Regime zu beenden, selbst um den Preis des Verlustes ihrer eigenen Privilegien. 

Genauso arbeiten weiß-mestizische Compañeras, sowohl lateinamerikanische, europäische als auch nordamerikanische, am Aufbau einer antirassistischen feministischen Bewegung und bringen ihre (von Privilegien geprägten) Körper in diesen Kampf ein, der letztlich ihren eigenen Platz an der Macht demontiert. Genauso können rassifizierte Genossinnen und Genossen es nicht länger aufschieben, darüber zu reflektieren, wie die Kolonialität des Geschlechts im Zuge der Verwestlichungsprozesse Orte der Privilegierung für den rassifizierten Mann innerhalb unserer eigenen Gemeinschaften produziert hat.

Sie und wir sind nicht hier, weil wir „exklusive“ Orte der Unterdrückung oder des Privilegs einnehmen; wir sind hier, weil wir uns verpflichtet haben, das zu bekämpfen, was diese differenzierten Orte, an denen wir uns befinden, produziert; wir sind hier, die wir hier sind, weil wir bereit sind, in vielen Fällen die Orte des Privilegs zu verlieren, die unsere eigene Äußerung stützen. Wenn das für „uns“ so ist, wenn wir schon wissen, dass das „Wir“ sich nicht aus der falschen „Einheit in der Unterdrückung“ speist, dann müssen wir diesen Schritt ernst nehmen, denn es wäre unehrlich, ihn auf die eine Subjektivität und Handlungsfähigkeit anzuwenden und auf die andere nicht. Wie kann man diesen Separatismus aufrechterhalten, der auf einem früheren Verständnis des handlungsfähigen Subjekts des Feminismus basiert (übrigens ein hegemoniales Verständnis, das vom weißen Feminismus implantiert wurde, der unfähig war, auf das zu hören, was seine Schwarzen-lesbischen-indigenen „Schwestern“ bereits in den 1970er Jahren angedeutet haben), wenn wir bereits wissen, dass diese Einheit nur möglich ist, wenn wir uns auf die Überzeugung einigen, dass es notwendig ist, eine komplexe Matrix der Macht zu beenden? Eine Matrix, in der die Subjektpositionen vielfältig sind, bis die Möglichkeit des Einfangens der Strukturen, auf denen die Handlung beruht, sich zu verwässern scheint?

Die Erfahrung der antirassistischen Bewegung oder der dekolonialistischen Bewegung zeigt uns ein wenig den Weg, um nicht bei dem Versuch unterzugehen. Es gibt sich überschneidende Regime der Macht, es gibt Strukturen, die sie überschneidend aufrechterhalten, es gibt Körper, die mit geringerer oder größerer Intensität markiert sind, oder besser gesagt, am Ende ist jeder Körper innerhalb dieser Vielzahl von Brüchen zwischen Körpern, die in einigen Instanzen des Sozialen die Macht innehaben, und Körpern, die sie nie innehaben, markiert … und es gibt schließlich Prozesse, die zu einem Bewusstsein führen, mittels dessen ein politischer Wille entsteht, sich diesen Markierungen zu stellen, oder besser gesagt, sich dem zu stellen, der die Markierungen produziert (und das Subjekt produziert, das sie erleidet und/oder innehat). Das Bewusstsein, der politische Wille der Revolte betrifft alle, die am Funktionieren der Maschinerie beteiligt sind – auch diejenigen, die am privilegiertesten sind; auch wenn es diejenigen sind, die am meisten gelitten haben, die der Kampf als erste betrifft. Dies ist nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert. Das zu verstehen, bringt viele der heutigen antirassistischen und dekolonialistischen feministischen Genossinnen dazu, „unsere“ Räume zu respektieren und an ihrem eigenen feministischen Selbst zu arbeiten.

Es ist daher offensichtlich, dass die Politik, die gebraucht wird, die es möglich macht, das moderne koloniale patriarchalische Weltsystem zu konfrontieren, eine ist, die es uns erlaubt, mit denen zu gehen, die bereit sind, Unterdrückung und Herrschaft als Ganzes zu konfrontieren, mit denen, die bereit sind, sich selbst zu konfrontieren, wenn es nötig ist …Wenn wir separatistisch sein sollen, werden wir es sein, indem wir eine Einheit mit denen bilden, die der Aufgabe gewachsen sind. 


Gekürzt und aus dem Spanischen übersetzt von Jens Kastner.

Dies ist der Schluss eines längeren Aufsatzes: Yuderkys ­Espinosa Miñoso: De por qué es necesario un feminismo ­descolonial: diferenciación, dominación co-constitutiva de la modernidad occidental y el fin de la política de identidad. In: Solar, año 12, Vol. 12, Número 1, Lima 2016, S. 141–171.


Yuderkys Espinosa Miñoso ist Philosophin und dekolonialistische Feministin. Sie war als Professorin an verschiedenen ­Universitäten in Kolumbien, Peru, Costa Rica, Argentinien, Bolivien, Mexiko und den USA tätig.