Der erste Schritt ist der Eingang

Wenn Kunst alles und jede behandelt und betrifft, muss die Kunstszene offen für jede Person sein – nicht nur in der gedanklichen, sondern auch in der körperlichen Präsenz.

… Erwartungen zu erfüllen, um der Stereotyp:in zu entsprechen? Mauern zu errichten, um Freiheiten künstlich zu erschaffen – damit Außenstehenden ein Spiegel vorgehalten wird, der Probleme, Fehler und Leid darstellt, aber sich nicht auf die eigene Person und das nahe Umfeld bezieht?

Die Kunst, das Metier der Kunst birgt das einzigartige Potential absoluter Barrierefreiheit.
Florian Reese, Atelier 10.

Alle Gebäude der Akademie der bildenden Künste Wien schließen, durch physische Barrieren, Menschen aus. Auch nach einer dreijährigen und kostenintensiven Modernisierung wurde das aktuelle Gesetz missachtet. Das Minimum der Barrierefreiheit, das schon vor der Sanierung bestand, wurde als ausreichend erachtet und deshalb nicht verändert. Wer die Stiege zum Haupteingang nicht verwenden kann, muss weiterhin unbemerkt von hinten in das Gebäude eintreten. Personen werden mit Vorsatz ausgeschlossen. Als Rollstuhlfahrer wurde mir somit unmissverständlich meine unerwünschte Anwesenheit erklärt.

I am angry. We should all be angry. Anger has a long history of bringing about positive change. But I am also hopeful, because I believe deeply in the ability of human beings to remake themselves for the better.
Chimamanda Ngozi Adichi, Schriftstellerin und Feministin.

Eine öffentliche Provokation war not-wen-dig. Ich habe mehrmals versucht, wie alle anderen, das Uni-Gebäude von Vorne über die Prunkstiege zu besuchen. Natürlich bin ich jedes Mal gescheitert. Trotz hoher Medienpräsenz blieb die Situation unverändert. Deshalb habe ich im folgenden Jahr den Druck erhöht und andere Personen und Organisationen eingebunden. Doch wieder ist bis heute keine Veränderung in Sicht. Paradoxerweise half mir das Entfalten meiner aufgestauten Wut zu erkennen, dass das Problem nicht von mir ausgeht. Ich sah mich oft als Störfaktor; eine Strafe für mein Umfeld; ein Umstand, der lieber vermieden wird. Und weil ich nicht zusätzlich irritieren wollte, bin ich stumm geblieben. Doch so funktioniert die Gesellschaft nicht. Wir reiben aneinander und bilden dadurch eine Zivilisation. Wir feiern Probleme, um Lösungen zu schaffen. Im Besonderen Künstler:innen machen Facetten des Lebens sichtbarer und stellen alles in Frage. Deshalb ist es besonders wichtig, in Kunsträumen Barrierefreiheit zu schaffen!

Das schlimmste was einem Denkmal passieren kann: wenn es nicht genutzt wird!
Dr. Friedrich Dahm, Bundesdenkmalamt Wien.

Wie viele andere Bauwerke ist auch das Gebäude der Akademie ein Kulturgut und muss bewahrt werden. Das Amt für Denkmalschutz will immer ermöglichen, dass ihre renovierten Gebäude für alle Menschen zugänglich sind. Jedoch kann diese Behörde nur nach Auftrag der Eigentümer:innen handeln. Trotzdem wird der Denkmalschutz oft als Argument gegen einen Umbau angeführt.

Solange jemand den Hintereingang oder Hinterausgang nehmen muss, während andere beim Haupteingang rein- und rausgehen, ist ein Haus nicht barrierefrei. Punkt.
Gabu Heindl, Architektin und Ziviltechnikerin.

Kunst bezieht sich auf das Leben, kommt aus der Gesellschaft und gibt sich der Öffentlichkeit preis. Deshalb müssen alle Menschen die Möglichkeit haben, Kunst zu schaffen und damit in Berührung zu kommen. Barrierefreiheit ist eine Grundvoraussetzung für eine Koexistenz. Der erste Schritt ist der Eingang. 


Philipp Muerling ist Künstler und Aktivist.

Manifest M zum Download unter www.questionmeandanswer.com/advocacy