In der Hafenstadt Las Palmas auf Gran Canaria gibt es in einem Haus nahe dem Strand ein Centro Deportivo. So steht es von weitem lesbar in Blockschrift auf einem Schild. Da die Insel eine EUGrenzregion mit dem afrikanischen Kontinent ist, in der häufig Flüchtlinge beim Betreten von Schengenland festgenommen werden, liegt es nah, bei Centro Deportivo an etwas zu denken, das hiesige Behörden gern ein Kompetenzzentrum für Deportationsleistungen nennen würden. Mit dieser Übersetzung drängt sich die Frage auf, warum das Zentrum dort positioniert ist: Warum nah am Ferienstrand, warum in der Stadt? Gehört ein Centro Deportivo nicht aufs Land? Auf den Berg oder davor, etwa nach Vordernberg? In Österreich wurde 2014 ein Zentrum für deportative Angelegenheiten bzgl. undokumentiert in der EU aufhältiger Personen errichtet – weitab aller urbanen Zentren (weitab anwaltlicher Betreuungs-, öffentlicher Protest- und individueller Kommunikationsoptionen), in der alpinen Tourismusruine Vordernberg.
Allerdings: Hinter dem Centro Deportivo in Las Palmas verbirgt sich ein Sport-Zentrum mit Fitnessgeräten. Für Leute, die kaum Kastilisch sprechen, liest sich deporte (für Sport) so unvorteilhaft wie das Etikett mineralización débil auf spanischem Mineralwasser. Übrigens macht das kleinere Zusatzschild über der Tafel Centro Deportivo die Sache kaum klarer: Es zeigt stilisierte Stemmgewichte (die auch als Fußketten zu verkennen wären) und die Aufschrift Gimnasio. Gymnasium in jenem Sinn, den deutschsprachig Aufgewachsene etwa aus US-BoxerInnenfilmen kennen, mehr zum Prügeln als zum Pauken.
Wollen wir dieses Gymnasium im übertragenen, metaphorisch deportierten Sinn verstehen, brauchen wir gar nicht den Glatzerten heranziehen, der bekanntlich die Schule – neben Fabrik, Kaserne, Hospital – als Disziplinarinstitution genannt hat, die dem Modell des Gefängnisses entspricht (Prügel inkl.). Es genügt zu bedenken, dass FürsprecherInnen des Anhaltezentrums Vordernberg versuchten (teils erfolgreich), diesen Abschiebeknast mit Verweis auf ästhetisch und humanitär avancierte Lösungen eines Wiener Architekturbüros (Panzerglastransparenz statt uncooler Mauern, Gitter etc.) in der Öffentlichkeit als eine Art Wellnesseinrichtung darzustellen – fast als eine Art Gimnasio. Auf solche Überlagerung dispositiver Raumpositionen von Anhaltelager und Wohlfühl- Sport-Ort komme ich auch deshalb so schnell, weil ich szeneöffentlich jahrelang Kippbilder der Administrierung entblößter Körper, konsumierender wie migrierender, ventiliert habe, als Mit-Betreiber/DJ eines Live- und Plattenmusikabends im Wiener Lokal rhiz 2003-2006 mit Namen Camp Wellness. Das war lang vor Vordernberg und klingt weit hergeholt.
Kurz nach Vordernberg schien es den Behörden naheliegend, Flüchtlinge in Wien an genau so einem Ort zu lagern: an einer Position, an der Grenz-Gewalt und Weiterschulung (Quasi-Gymnasium) zusammenkommen. Das tun sie – wie vieles in der Wiener Geschichte: von Richard Löwenherz über Zinnemann & Zawinul bis DJ DSL & Tommy Klestil – in Erdberg, in den als Flüchtlingsausweichquartier genutzten Räumen eines Schulungszentrums der Österreichischen Zollwache. Wie die (de)sportive Weisheit sagt: Nach dem Erdberg ist vor dern Berg.
Drehli Robnik ist Filmtheoretiker, Autor/Co-Editor von Büchern zu Ranciere und Kracauer; FWF-Projekt zur politischen Theorie des Horrorkinos.