Die Beschäftigung mit feministischen Medien ist meistens im Jetzt verhakt: Entweder es wird eine Neuerscheinung thematisiert, die Vielfältigkeit feministischer Kanäle begrüßt bzw. ihr Fehlen beklagt oder ihre grundsätzliche Existenzberechtigung unter der – zu jedem historischen Zeitpunkt gleichen – Leitfrage „Sind diese Medien heute, wo wir doch in egalitären Verhältnissen leben, überhaupt noch notwendig?“ verhandelt. Während auf der einen Seite die steten Zuwächse in der feministischen Podcast-Landschaft begrüßt werden, fragte sich die RBB-Frauensendung Zeitpunkte zum 40. Geburtstag im April dieses Jahres selbstkritisch: „Wozu brauchen wir noch Frauenmedien?“ Interessant dabei ist eine Parallelisierung mit alternativen Medien allgemein, deren Legitimität, die sich mit der gleichen Formulierung ja ebenso in Frage stellen ließe, nicht angetastet wird. Selten reicht das thematische Wissen historisch weiter zurück als bis zur Zeit der vormals „Neuen Frauenbewegung“ und heute meist „Zweiten Welle“ betitelten Zeit der 1970er Jahre, in der in Deutschland Neugründungen wie die Courage und die Emma groß wurden. Ich möchte mit diesem Text den Fokus ein wenig erweitern und damit die Frage aufwerfen, inwieweit feministische Medien ein „Sonderfall“ der alternativen Presselandschaft sind, oder ob nicht vielleicht auch eine umgedrehte Perspektive produktiv sein könnte.
„1849 gründete ich dann eine Frauenzeitung in Leipzig, die drei Jahre lang jedem Frauenfortschritt huldigte. Es waren in dieser Zeit auch viele Frauenvereine gegründet worden, aber als die Verhältnisse sich änderten und alle Fortschrittsbestrebungen unterdrückt wurden, bestanden nur noch solche Frauenzeitungen fort, welche der Mode, und solche Vereine, welche dem Wohlthun dienten.“ (Otto-Peters: 1).
So äußerte sich die sächsische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters über die Zeitung, die als erstes feministisches deutsches Medium gilt, und sprach dabei gleich die bis heute virulenten Problematiken des „Cooling Out“ von politischem Engagement wie auch der inhaltlichen Verflachung bzw. Kommerzialisierung radikaler Inhalte an. Interessanterweise wurde diese Pionierleistung jedoch noch von der ersten Ausgabe der Frauenzeitung der revolutionären Sozialistin Mathilde Franziska Anneke überrundet, die erstmals am 27. 9. 1848 in Köln erschien. Diese wurde aber nach nur drei Ausgaben verboten, und danach ab 1852 noch einmal für rund zwei Jahre aus Annekes neuer Heimstatt in den USA, in Milwaukee, wiederbelebt. In Paris gab von 1848 bis 1852 die Autorin Eugénie Niboyet die sozialistische Tageszeitung La voix des femmes heraus, für die unter anderem auch Victor Hugo schrieb, Amelia Bloomer führte von 1849 bis 1853 in New York die moderate Frauen-Monatsschrift The Lily, und Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton, berühmteste weiße Frauenrechtlerinnen der so genannten Ersten Welle in den USA, hielten von 1868 bis 1870 den erschlaffenden Kampf für das Frauenwahlrecht mit der Wochenzeitung The Revolution aufrecht. Und das sind nur die Zeitungen, zu denen heute Informationen leicht zugänglich sind, von weiteren aus anderen Ländern, Weltregionen oder Epochen wissen wir wenig bis nichts. Doch wieso sind unsere Kenntnisse über sie so kümmerlich, dass wir felsenfest davon überzeugt sind, die Geschichte alternativer Medien beginne erst in den 1960er und 70er Jahren?
„Feminist Media Historians cannot take the ‚history‘ part of history for granted“ (DiCenzo: 8), betonen Maria DiCenzo, Lucy Delap und Leila Ryan in ihrer Feminist Media History über Periodika aus der Zeit der Kämpfe für das Frauenwahlrecht. Alleine die Lokalisierung von Primärquellen stelle eine Herausforderung dar, weil frauenpolitische Medien, wie jede Form alternativer Medien, flüchtiger Natur waren und nicht gesammelt und archiviert wurden und werden (vgl. ibd.: 9) – dass es öffentlich geförderte Frauenbewegungsarchive und Feminist Zine Libraries gibt, ist erst eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Hier verschränken bzw. verstärken sich also zwei Faktoren, nämlich der, dass Frauengeschichte in der Regel nicht als distinktes historisches Moment wahrgenommen wird, sondern als Teil der Menschheitsgeschichte, die nach wie vor weitestgehend synonym mit Männergeschichte ist, und dass alternative Medien aufgrund ihrer Nischenförmigkeit, nicht-standardisierten Organisationsform und Kurzlebigkeit keinen institutionalisierten Eingang in Bibliotheken finden.
Aber sind feministische oder frauenpolitische Publikationen automatisch Teil einer alternativen Medienlandschaft? Müssen feministische Medien additiv feministisch UND alternativ sein, oder ergibt sich die Alternativität per se aus dem Bekenntnis zum Feminismus? Kann eine feministische Sendung bei einem staatlichen Rundfunksender „alternativ“ sein, und wie verhält es sich mit einer von Frauen im Eigenverlag herausgegebenen, aus einem Fanzine hervorgegangenen Hochglanzzeitschrift, die feministische Hetero-Hochzeiten anpreist? Und was macht ein Medium überhaupt alternativ? Ist es die politische Haltung, die Themensetzung, der Tabubruch, der Stil, die Gestaltung, die Organisationsform, der Vertriebsweg? Oder doch ganz etwas anderes – vielleicht, dass sich damit meist kein Geld verdienen lässt oder dass sich seine Macher* innen in der Regel selbst ausbeuten? Was heißt überhaupt alternativ – eine Alternative zu was und wem?
Auf einem Bahnsteig des Berliner Ostbahnhofs hängen historische Fotografien, die nachvollziehbar machen, wie es früher dort aussah. Auf einer davon lässt sich eine Ansicht eines Kiosks in den 1920ern bestaunen, auf dem ganz klein, aber deutlich sichtbar ein Titelblatt der Frauenliebe zu erkennen ist, mit dem für die Zeitschrift typischen Frauenakt. Dieses von 1926-1931 wöchentlich in Berlin erschienene Lesbenmagazin hatte Titelzeilen wie „Im Schatten von Lesbos“ oder „Wie soll sich ein Transvestit kleiden“, es gab Texte zu Bisexualität und sexuellen Praxen wie auch unzählige Anzeigen Berliner Lesbenlokale wie dem Damenklub Monbijou, in denen sich die lokale Szene traf. Die Frauenliebe war alternativ in dem Sinne, dass sie eine partikulare, sanktionierte Lebensweise positiv in ihren Mittelpunkt stellte und eine Alternative zum Hetero-Lebensstil repräsentierte, und damit eher implizit als explizit feministisch war.
Das war dann definitiv die Courage, die in gewisser Weise als Paradebeispiel einer feministischen UND alternativen Zeitschrift gelten kann. „Es gibt das einprägsame Bild aus dem Film ,Madame X‘ von Ulrike Ottinger. Da brechen alle Frauen gleichzeitig auf, jede aus einem anderen Ort und sie treffen sich auf einem Boot, mit dem sie in See stechen. So, als hätte Madame X sie gerufen. So oder ähnlich kann man sich auch den Aufbruch der Courage-Frauen vorstellen“, zitiert Zeitgenossin Gisela Notz die Courage-Mitgründerin Sibylle Plogstedt in einem Rückblick auf die Zeitschrift (Notz: 1). Die Vision von den vielen Frauen, die aus allen Richtungen kommen und sich auf einem – mitunter auch durchaus wackligen Boot – zusammenfinden, ist eine genauso passende Metapher für die Arbeitsweise der neuen Zeitschrift wie das erste Titelmotiv mit ganz vielen unterschiedlichen Frauenköpfen vom 17. Juni 1976. Denn von Anfang war es den Courage-Frauen wichtig, dass in ihrem Blatt verschiedenste, auch sich widersprechende Meinungen Platz finden sollten – und dass trotzdem alle Mitstreiterinnen gleich sein sollten. Im Gegensatz zur Emma, die wenige Monate nach der Courage auf den Markt kam und wie ein herkömmliches Medienprodukt mit einer Chefin an der Spitze organisiert war und ist, sah sich die Courage als Kollektiv ohne Hierarchien. Alle sollten alles machen – mal Texterin sein, mal Fotografin, mal für die Buchhaltung und mal für den Vertrieb zuständig sein. So waren die Blattmacherinnen auch froh, dass Alice Schwarzer, von deren Plänen für ein „Konkurrenzprojekt“ sie vorab hörten und die sie daraufhin aus Solidarität einluden, doch Teil der Courage zu werden, ihr Angebot ausschlug. Ihnen war wohl klar, dass sich die Zuspitzung auf die feministische Ausnahmefrau nicht mit ihrer Idee von einer gleichberechtigten Gemeinschaft ohne Stars vertrug. Für diesen Idealismus mussten die „Couragierten“ jedoch am Ende einen hohen Preis bezahlen: Nachdem die Zeitschrift in den Anfangsjahren eine Auflagenhöhe von 70.000 Stück pro Monat erreichte, sank in den Folgejahren die Anzahl der verkauften Hefte immer weiter und auch eine kurzzeitige Umstellung auf einen Wochenrhythmus konnte das Blatt nicht mehr retten, so dass nach der Mainummer 1984 Insolvenz angemeldet werden musste. Die ständige Überarbeitung für am Anfang gar kein und später wenig Geld, der Anspruch, alle Arbeitsbereiche rotieren zu lassen und dabei gleichzeitig ein qualitativ immer besser werdendes Magazin zu machen, sowie die internen Auseinandersetzungen über feministische Themen wie auch innerhalb der Frauenbewegung insgesamt führten zu einem allmählichen Zermürbungsprozess.
Die kurzen Schlaglichter auf feministische Medien der letzten zwei Jahrhunderte, in denen der Zermürbungsprozess von außen und innen eher die Regel als die Ausnahme sind – die meisten dieser Publikationen wurden keine 10 Jahre alt, womit die nun bald 40-jährigen an.schläge wie auch das von mir vor über 10 Jahren mitgegründete Missy Magazine erfreuliche Ausnahmen bilden – mögen im Hinblick auf die Tragweite alternativer Medien desillusionierend wirken, doch meiner Meinung nach ist das Gegenteil angebracht. Denn sie machen einerseits klar, welchen Herausforderungen sich quer zum Mainstream stehende Medien immer wieder stellen müssen, und andererseits zeigen sie uns auch eine andere Lesart von „alternativ“ auf. Denn gerade in Zeiten, in denen alternative Lebensstile schon lange zur kommodifizierten Norm der Abweichung geworden sind und sich Rechte als Free-Speech-Rebell* innen im Kampf gegen Political-Correctness-„Normies“ stilisieren, wäre es vielleicht sinnvoll, von emanzipatorischen Medien zu sprechen, die nicht das Anderssein diskursiv in den Mittelpunkt stellen, sondern das gerechte, gleichberechtigte Leben für alle. Dafür können wir, im Sinne eines feministischen Universalismus, vom Gelingen und vor allem auch Scheitern einer langen, viel zu wenig erforschten Ahninnenreihe feministischer Medien lernen. Denn, wie die feministische Medientheoretikerin Alexandra Juhasz in Women of Vision festhält (Juhasz: 3), ist ihr Vergessen zu verstehen möglicherweise genauso wichtig, wie sich an sie zu erinnern.
Sonja Eismann war vor über 10 Jahren Co-Gründerin des feministischen Missy Magazine und beschäftigt sich heute, neben ihrer redaktionellen Arbeit bei Missy Magazine, in Texten, Vorträgen und Lehrveranstaltungen mit der Repräsentation von Geschlecht in der Populärkultur und feministischen Diskursen.
Literatur
Maria DiCenzo mit Lucy Delap und Leila Ryan: Feminist Media History. Suffrage, Periodicals and the Public Sphere. Palgrave Macmillan: London, 2011.
Alexandra Juhasz: Women of Vision. Histories in Feminist Film and Video. University of Minnesota Press: Minneapolis, 2001.
Gisela Notz: Die Frauenzeitschrift Courage.
Louise Otto-Peters: Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins: Gegründet am 18. Oktober 1865 in Leipzig. Kommisions- Verlag Schäfer: Leipzig, 1890.