2010 schrieb ich ein Essay über den Wandel in der Gegenwartskunst von polemischer Ironie seit den 1960ern – als deren abwesenden Zieh-vater ich den damals gerade verstorbenen Sigmar Polke ausmachte – zu einer ent-polemisierten, post-ironischen Vernetzungskultur der 2000er Jahre.1 Seitdem hat sich natürlich einiges gewandelt, zum Teil extrem. Die Vernetzung hat sich als falsches Versprechen erwiesen; entsprechend, so die Arbeits-hypothese, hat sich punktuell eine neue, polemische Post-Ironie herausgeschält. -Diesen Entwicklungsweg möchte ich kurz skizzieren.
Wenn man Sigmar Polkes berühmtes Werk von 1969 anschaut, Höhere Wesen befahlen: rechte -obere Ecke schwarz malen!, so geschieht dort Folgendes: Die Formsprache der malerischen Abstraktion wird aufgerufen, denn da ist ja ein planes weißes Feld mit einem schwarzen Dreieck rechts oben. Nur ist der Befehlssatz in Schreibmaschinentypo in den unteren Teil der weißen Fläche hineingesetzt, als wäre es ein schmal verkniffener Mund in einem rechteckigen Gesicht; aus der abstrakten schwarzen oberen Ecke wird automatisch die streng diagonal gelegte Hitlertolle. Doch -Polkes Spott richtete sich 1969 nicht mehr nur gegen Abstraktion und Informel der 1950er Jahre, sondern gegen jede Form normativer Schulwerdung, ob mit oder ohne Genie-Kult, so nun auch im Bezug auf US-amerikanische Minimal und Concept Art. Doch Polkes Oeuvre auf „Ironie“ zu verkürzen ist falsch. Es überwog bei Polke bis in die frühen 1980er Jahre hinein eine Haltung des Sich-Dumm-Stellens als gesteigerte Form ironischer Verfeinerung: Schneeglöckchen oder Palmen malen, Kunstwerke aus Kartoffeln machen, Drogen nehmen und in der Dunkelkammer Quatsch machen usw. Ab den 1980ern dann – unter den Vorzeichen einer Rückkehr der Malerei, die Polke wie Gerhard Richter erst international durchsetzte – eine exakt entgegengesetzte Selbstdarstellung als weise und im Besitz geheimen Wissens (Alchemie-Anspielungen in Materialien, Motiven und -Titeln, sybillinische Interviewäußerungen etc.). Was ist die Konsequenz? War Polke ein alchemistischer Neo-Mystiker, der sein hermetisches Interesse mit humoristischen Ablenkungsmanövern camouflierte? Oder doch ein großer Scherzkeks? Es geht genau um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Ironie und quasi-mystischer Einsicht: Es ist die Ironie eines wie von Drogen induzierten (und manchmal tatsächlich drogeninduzierten) Nebensichstehens, aufgrund dessen das absolut Gewöhnliche plötzlich mysteriös und einzigartig erscheint. Zugleich entpuppt sich so das vermeintlich so Mysteriöse und Unerhörte – etwa die Informel-Malerei der 1950er und 60er Jahre – als das eigentlich Entleerte und Banalisierte.
Polkes Ironie unterscheidet sich in ihrer Aufrechterhaltung des Verhältnisses zum Idealistischen graduell, aber nicht grundsätzlich von der Logik der Buchstäblichkeit, die in den 1960er Jahren in den (zunächst US-amerikanisch dominierten) Strömungen von Pop Art, Minimal, Concept, -Fluxus etc. hervortritt. Diese Logik ist zugleich die des Deadpan: Damit bezeichnet man den versteinerten, emotionslosen Gesichtsausdruck im Angesicht des schreiend Komischen, etwa bei Buster Keaton. Es ist also eine umgedrehte Ironie: Anstatt eine scheinbar feierlich ernste Äußerung mit einem süffisanten Grinsen als ironisch zu enthüllen, wird eine – im Vergleich zum Geltenden – komplett polemisch und absurd wirkende Äußerung mit feierlich ernstem Ausdruck vorgebracht. Und komplett polemisch und absurd wirkte es im Kunstkontext der 1960er Jahre zum Beispiel, völlig gewöhnliche Dinge – Suppen-dosen, graue Kisten – als Kunst zu präsentieren. Diese Strategie wurde zur Grundhaltung vieler (nicht nur) US-amerikanischer Künstler*innen.
Wie Olav Westphalen – selbst Künstler und im Zweitberuf Karikaturist als Teil des Duos Rattelschneck – überzeugend argumentiert hat, handelt es sich bei Deadpan um eine Legitimationsstrategie: Nur so können Künstler*innen „die Komik ihrer Arbeit zum gebotenen Zeitpunkt leugnen und doch noch den Hochkunstbonus genießen.“2 Deadpan ist also nur so lange ironisch, so lange eine zweite, ernste Lesart nicht je nach Situation günstiger erscheint. Das kann dann opportunistisch sein, wenn es sich dem andient, was eigentlich bekämpft werden soll (z.B. ein überkommenes, reaktionäres Kultur- und Gesellschaftsverständnis). Mindestens ebenso sehr kann aber die konstitutive Unentscheidbarkeit des Deadpan – ernst gemeint oder gerade nicht? – der Schlüssel dazu sein, sich von Festschreibungen immer wieder loszumachen. Bei Polke ist der ironischen Haltung dauerhaft jede demonstrative Aufdringlichkeit genommen, sie knufft einem nicht ständig um Einverständnis buhlend in die Seite. So wird der polemischen Positionierung gegenüber dem Älteren, dem Allgemeinen und dem Durchgesetzten das Ödipale genommen – und doch Bissigkeit bewahrt. Dieses Modell fand fruchtbare Anwendung beispielsweise bei -Martin Kippenberger, der Polkes Ironie intensivierte, wenn nicht fanatisierte; nichts und niemand blieb vor seiner polemischen Ironie sicher.2 Die grimmige Ironie Rosemarie Trockels im Umgang mit der patriarchalen Ordnung in der Kunst und um die Kunst herum wiederum weist Machismo und „weibliche Werte“ zurück, in dem Trockel beides auf mechanisierte Weise – in post-minimalistischer Form- und Bildsprache – aufeinanderprallen lässt. Ironie verträgt das offene Bekenntnis zur ironischen Haltung nicht, sie braucht den Restzweifel. Auf eine seltsame Art ist die Sache nämlich sehr, sehr ernst; diese Ernsthaftigkeit ist in Trockels Werken formal-ästhetisch -anwesend.
Unmittelbar nach den Ereignissen des 11. September 2001 verkündete man jedoch vor allem in den USA das endgültige „Ende der Ironie“.3 Ironie war zu diesem Zeitpunkt auf der Linken längst als synonym gedacht mit nihilistischem Zynismus, der jeden Schwachsinn und jede Schweinerei damit rechtfertigt, dass es nicht ernst gemeint sei oder dass man es nicht ernst nehmen solle. Auf der Rechten sah man in Ironie nur die frivole Rechtfertigung für unsittliches, unpatrio-tisches Verhalten. Es war ein Fehler der stärker moralistisch orientierten Strömungen der Kunst in den 1990er Jahren gewesen, Ironie zur Verfallserscheinung der Postmoderne zu erklären. So wurde sie nun mitsamt ihrer emanzipatorischen Anteile – dem Zweifeln und Kratzen an Autorität, inklusive der eigenen – verabschiedet. Was aber ebenso einen Knacks bekommen hatte, war Richard Rortys 1989 mit seinem Buch Contingency, Irony, and Solidarity vorgebrachte Konzept einer Ironie, die sich im „privaten“ Bereich der Philosophie und der Kunst ganz gelassen die Kontingenz ihrer Wahrheitskonzepte einräumt, während sie im „öffentlichen“ Bereich liberaler Politik -unerschütterlich am moralischen Grundsatz „pro Solidarität, contra Grausamkeit“ festhält.4 Der Knacks besteht darin, dass diese scharfe Trennung von privat und öffentlich, schon bis dahin fragwürdig, in den Zeiten globaler digitaler Vernetzung schlicht realitätsfremd geworden ist.
Es geistert immer noch die Vorstellung umher, dass die Kunstwelt ein Ort für das Exzentrische und Exzessive sei; die Realität sieht im Großen und Ganzen anders aus, denn Affektkontrolle und Selbst-Management haben spätestens seit den 2000er Jahren auch in der Kunst eine zunehmend große Rolle gespielt. In den Werken Polkes, Trockels und Kippenbergers aus den davorliegenden Jahrzehnten spürt man im Vergleich – und deswegen hat ihre Wirkung auf heutige Betrachter*innen eher zu- als abgenommen – die Dauerpräsenz des Durchgeknallten, Schillernden, Polemischen. Ironie ist hier nicht betuliche, distanzierte Gelassenheit, sondern funkt – eher unangenehm nah und peinlich – hinein in die Dauerkonkurrenz von Fanatismus und Pragmatismus. Das Nicht-Pragmatische zu denken wird möglich, ohne gleich diktatorisch und dogmatisch werden zu müssen.
Ernst zu sein ist immer einfacher als (-wirklich) komisch zu sein. Für polemische Ironie muss man eine Macke haben und die Bereitschaft, sie zu zeigen. Eine Macke zu haben ist aber in der durchökonomisierten Gegenwart -alles andere als gewünscht. Selbst auf Kunsthochschulen ist im Zeichen von Verschulung und Evaluierungsprozessen die Luft für brillante Exzentriker*innen extrem dünn geworden. Selbst berufene Leute, die tatsächlich einen – produktiven – Hau haben, versuchen dies mit professoralem Gestus zu kaschieren.
Spätestens seit den späten 2000er Jahren ist der Vernetzungsgrad, den junge Künstler*innen für sich herstellen – ob auf Ausstellungsempfängen oder den Social-Media-Kanälen – mindestens genauso wichtig wie das, was sie künstlerisch machen. Vielleicht war das im Prinzip schon immer so; aber die Angst vorm Herausgeschnittensein aus dem sozialen Geflecht hat sich seitdem aus zwei Gründen massiv erhöht: weil sich die Kunstwelt geographisch und quantitativ massiv erweitert hat, womit der Wettbewerbsdruck, aber auch die Zersplitterung der Szenen stark gestiegen sind; und weil zugleich allgemein die sozialen Netze, das Solidaritätsprinzip politisch in Frage gestellt und wirtschaftlich massiv -erodiert worden ist. Womit wir bei der Post-ironie wären. Wenn zur polemischen Ironie -Kippenbergers Motto „keiner hilft keinem“ passt (übersetzt: vor meinem Witz ist keiner sicher, auch ich selbst nicht), so passte zur Postironie der späten 2000er, frühen 2010er: „alle helfen allen“ (übersetzt: ich tu dir nix wenn du mir nix tust).
Die Postironie ist eine Akzentverlagerung. Es ist nicht mehr etwas Komisches, das um einen total ernst gemeinten Kern kreist; sondern etwas zutiefst Ernstes, das den Beigeschmack zulässt, dass es auch lustig gemeint sein könnte, schwankend zwischen Demut und Erhabenheit. 5
Doch der Postironie ist spätestens seit Trump und Brexit, erst recht mit der weltweiten -Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine der Spaß am Spiel mit Demut und Erhabenheit vergangen. Hinzu kommt, dass die Verheißungen der Vernetzungskultur, die zeitgleich mit Facebook, Instagram und Co. wuchsen, endgültig enttäuscht sind. Zuletzt schrieb der Tech-Theoretiker Cory Doctorow von einer Enshittification (wenig schmeichelhaft übersetzbar mit „Einscheißung“) der Social-Media-Plattformen, womit er deren Geschäftsprinzip des Wechsels zwischen Beschmeichelung und betrügerischer Ausnutzung von Nutzer*innen wie Geschäftskund*innen beschreibt.6 Eine solche Enshittification hat auch die Kunstwelt ereilt in dem Maße, in dem sie sich die Geschäftsprinzipien und das Gebaren der Tech-Entrepreneur-Welt und ihrer superreichen Supernerds zu eigen gemacht bzw. sich von ihnen hat einnehmen lassen: Einer hilft keinem, außer sich selbst.
Ein Teil der Enshittification-Taktik der Social–Media-Plattformen war stets die algorithmisch favorisierte Polarisierung und Simplifizierung, in deren Windschatten sich zugleich steuerfreie Profitperspektiven und deren politische Flankierung durch radikal-neoliberale bis faschistoide Meinungspartikel organisieren ließ. Der gegenwärtige -Zustand von Facebook/Instagram (Mark -Zuckerbergs -Meta-Hölle), Twitter (Elon Musks Follower–Folterkeller), TikTok (CEO Shou Zi Chews Quacksalber-Honigfalle) und Youtube (Googles Tummelplatz für u.a. rechtsextreme Influencer) ist beredtes Zeugnis davon. Das Tragische ist, dass ein von berechtigten Anliegen wie sozialer Gerechtigkeit oder Klimaschutz motiviertes, jedoch von einer ernsthaften politisch-ökonomischen Analyse entkoppeltes Single-Issue-Engagement (also bestimmte Formen der Identity Politics) sich in dieser Enshittification-Dynamik sehr schnell selber einbauen lässt. Entsprechend gibt es derzeit für die Kunst offenbar nur zwei Auswege aus dieser Falle: zum einen eine Verweigerung gegenüber den skizzierten Mechanismen, indem sie sich beispielsweise in von Communities oder/und öffentlicher Hand getragene institutionelle Räume zurückzieht; zum anderen den Versuch, inmitten der Enshittification zumindest einige polemische Spitzen abzusondern. Einige Kunstwelt-Satire-Accounts auf Social Media (besonders Instagram) wie @sveamaus oder @freeze_magazine führen dies mustergültig vor. Deren polemische Spitzen sind zugleich darin post-ironisch, dass sie die Spannung zwischen authentischem Zorn und ironischem Zynismus als improvisierte Batterie nutzen, die auch die Polarisierungslogik der Social-Media-Algorithmen als Energiequelle anzapft, ohne sie jedoch widerstandsfrei zu beliefern. Der polemische Anteil ist dabei genau jener, der das umstandslose Aufgehen in der Verwertungslogik der Tech- wie der Kunstwelt verhindert oder zumindest hinauszögert, nicht zuletzt durch Satire ebendieser Welten.
1 Olav Westphalen, Ein Plädoyer gegen konventionelle Ironie. Deadpan 2.0, in: Zdenek Felix, Ludwig Seyfarth (Hg.), The Fate of Irony (Publikation zur Ausstellung im KAI 10| Raum für Kunst, Düsseldorf 24. April – 24. Juli 2010), Düsseldorf 2010, S. 72–78.
2 vgl. dazu ausführlicher: Jörg Heiser, Sarah Khan: Ironie als deutscher Lernprozess: Das Erbe des Lachens, in Zdenek Felix, Ludwig Seyfarth (Hg.), a.a.O., S. 48–71.
3 z.B. Roger Rosenblatt, The Age Of Irony Comes To An End, in: Time Magazine, 24. September 2001, https://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,1000893,00.html
4 Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main 1992
5 Vgl. dazu auch Com & Com (Marcus Gossolt/Johannes M. Hedinger), first post-ironic manifesto, 2008, https://web.archive.org/web/20201025195332/https://postirony.com/blog/?p=7
6 www.wired.com/story/tiktok-platforms-cory-doctorow/
Jörg Heiser ist Kunstkritiker und geschäftsführender Direktor des Instituts Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin.