Freihandelsabkommen haben wieder Konjunktur. Die letzte Weltwirtschaftskrise ist noch nicht ausgestanden, da geht es schon wieder darum, wie Gewinne und Einkommen noch effizienter von unten nach oben verteilt werden können. Angriffspunkte sind als Handelshindernisse empfundene Faktoren wie demokratische Mitbestimmung, potenzielle Gesetzesänderungen oder auch nur Nichtprivatisierung noch öffentlich verwalteter „Wirtschaftszweige“ (z.B. Bildung, Gesundheit, Kunst, Kultur oder das viel zitierte Wasser). Der Ansatzpunkt: der Schutz privatwirtschaftlicher Investitionen im „Ausland“. Jetzt sind bilaterale Freihandelsabkommen nichts neues, auch die antidemokratischen Schiedsgerichte (ISDS) gibt es seit Jahrzehnten (was sie um nichts besser macht). Extra bedeutsam werden die beiden Zwillinge CETA und TTIP aber dadurch, dass sie zwischen jeweils zwei der marktmächtigsten Binnenökonomien der Welt verhandelt werden (Kanada bzw. USA und EU) – zudem geht es um Märkte, die kaum noch durch klassische Handelshemmnisse wie etwa Zölle voreinander abgeschottet sind. Im Zentrum stehen daher sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse (z.B. Umwelt- und Arbeitsrechtsstandards) respektive die Erschließung neuer Wirtschaftsfelder für kapitalistische Gewinnmaximierung (Privatisierung), ganz grundlegend ist die Geltungsdauer: Im Unterschied zu bisherigen Freihandelsabkommen ist kein Ablaufdatum vorgesehen. Aber der Reihe nach:
Buchstabenkombinationsaufklärung: Was ist CETA, TTIP, TISA, …?
CETA ist ein derzeit bereits fertig verhandeltes Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU. Bekannt wurde das Abkommen in unmittelbarer Folge auf das gescheiterte ACTA, als vorübergehend gerade die am schärfsten kritisierten Klauseln aus dem ACTA-Abkommen ins CETA übernommen wurden. Aktuell sind diese nicht enthalten, ein 30seitiger Passus zu ISDS aber schon. Unklar ist derzeit nur noch, ob es sich EUrechtlich um ein sogenanntes „gemischtes“ Abkommen handelt oder nicht, ob also die nationalen Parlamente auch darüber abstimmen müssen, oder ob die Annahme durch das EU-Parlament genügt. Nachverhandlungen jedenfalls sind nicht vorgesehen. Je nachdem steht die finale Entscheidung über das Inkrafttreten von CETA im ersten Halbjahr 2015 oder doch etwas später an. TTIP wird vielfach als Pendant zu CETA, nur als zwischen den USA und der EU verhandelt beschrieben, soll über CETA aber noch weit hinaus gehen. Die Verhandlungen finden wie seit nunmehr vielen Jahren hinter verschlossenen Türen statt – selbst die nichtstaatlich beteiligten VerhandlerInnen sind regelmäßig unklar, jedenfalls kaum je öffentlich bestätigt: Sonst könnte ja Widerstand an einzelnen Punkten entstehen, und es ginge insgesamt nichts weiter. Neben dem derzeit durch öffentlichen Druck schon sehr wackeligen Passus zu ISDS ist im TTIP aber ein weiterer schwerer Anschlag auf das demokratische Gefüge der beteiligten Staaten geplant, der sogenannte „Rat zur regulatorischen Kooperation“: Ein zentral von Wirtschaftsseite zu beschickendes Gremium, das alle entstehenden Gesetze im Geltungsbereich des TTIP vorab auf mögliche Handelshemmnisse prüfen soll (einschließlich VETO-Recht). Offizieller Ansatzpunkt ist die Angleichung regulatorischer Standards. Zwecks Buchstabenkombinationsaufklärung: Bis vor wenigen Jahren wurde das TTIP unter der Bezeichnung TAFTA verhandelt, das TPP dagegen ist ein derzeit verhandeltes Pendant zu TTIP zwischen USA, Japan, Australien und einzelnen Staaten in Südamerika wie im Fernost. TISA dagegen, das derzeit noch geheimste in Verhandlung stehende Abkommen, ist von den möglichen Auswirkungen wie von Umfang der beteiligten Staaten aber wohl als übergeordnetes Abkommen zu sehen. Im Grunde verhandelt zwischen allen Beteiligten von TTIP und TPP soll die Geheimhaltung des Abkommens vertraglich bis fünf Jahre nach Unterzeichnung aufrecht erhalten werden. Auf das Schaffen von Tatsachen zielt auch ein gelaekter Passus zum generellen Verbot von Wiederverstaatlichung in allen Wirtschaftsbereichen – auch dann, wenn die Privatisierung, beispielsweise in Bereichen der öffentlichen Verwaltung, offensichtlich nicht die gewünschten Resultate bringt. Wie schon deutlich wird: Verhandlungsgegenstand sind mehr noch als in TTIP und CETA Dienstleistungen im umfassenden Sinn.
Was hat das alles mit Kunst und Kultur zu tun?
Die Einschätzungen in dieser Frage reichen von alles bis nicht viel. Im Grunde sind staatliche Regulatorien wie die Buchpreisbindung oder nationale Subventionssystematiken für Kunst und Kultur selbstverständlich Handelshemmnisse im Sinne der TTIP/CETA-VerhandlerInnen. Andererseits regt sich gerade bei diesen Themen auch auf Seiten einiger europäischer Regierungen Widerstand. Explizit ausgenommen, beispielsweise in den TTIP-Verhandlungen, ist derzeit der audiovisuelle Bereich. Wobei hier – wie in allen anderen Feldern der Kunst und Kultur – unklar bleibt, was alles gemeint ist und was nicht: Das Grundproblem ergibt sich aber aus der Systematik von TTIP/CETA: Verhandelt wird entlang von Handelskategorien aus aktuellen Weltwirtschaftsabkommen, in denen Kunst- und Kultur keine eigene Sparte ist (wie wäre das rein ökonomisch auch zu definieren?), in denen der ökonomische Output aus Kunst und Kultur aber auch nicht ausgespart wird – quer verteilt über alle Handelskategorien, vom Verkauf (z.B. DVDs, MP3s) bis hin zu Aufführungen (z.B. Konzerte, Festivals). Im Grunde lässt sich mit einiger Sicherheit sagen, dass weder CETA noch TTIP unmittelbare Auswirkungen im Feld haben (wo RegierungsvertreterInnen quer durch Europa nicht müde werden darauf hinzuweisen), Angriffspunkte dürften sich aber immer dann ergeben, wenn es zu Verbesserungen oder auch nur Veränderungen kommen soll. Was jedenfalls klar ist: Sollte es z.B. via ISDS zu Angriffen kommen, werden Tatsachen geschaffen: Dann ist es für Widerstand zu spät.
Apropos Widerstand
Der regt sich in praktisch allen betroffenen Ländern dieser Abkommen. In Österreich gibt es ein breit aufgestelltes Bündnis rund um attac und Global 2000, dem sich auch der ÖGB angeschlossen hat. Zudem agiert die Arbeiterkammer (AK) ungewohnt offensiv, wobei auch einiges an Expertise zusammengetragen wurde. Und die überregionale Vernetzung der Widerstandsaktivitäten dürfte auf unterschiedlichen Ebenen nicht schlecht funktionieren: Das vielleicht prominenteste transnationale Zeichen ist die gerade laufende selbstorganisierte BürgerInneninitiative, mit der die EU-Kommission aufgefordert wird, die TTIP-Verhandlungen aufzugeben. Selbstorganisiert deshalb, weil der Versuch, diese Petition offiziell an die EU-Kommission zu richten, von ebendieser mit vermutlich nicht haltbaren juristischen Argumenten abgelehnt wurde (eine Klage ist bereits eingereicht). Zum aktuellen Zeitpunkt kratzt die Petition an der Millionengrenze von UnterstützerInnen – ein Erfolg, der hoffentlich Elan und Durchhaltevermögen anschiebt: Zum einen ist der Protest auf den Straßen Europas und in den USA noch sehr leise – mit Blick auf den letzten großen Erfolg, die Verhinderung von ACTA, ist das sicher noch eine Schwäche der Protestaktivitäten –, zum anderen sind Verhandlungen zu CETA, TTIP oder TISA langwierige und entsprechend langsame Prozesse, und kaum von heute auf morgen zu kippen: Es gilt, sperrige Themen, wie es diese Abkommen nun mal sind, andauernd zumindest an der Wahrnehmungsschwelle zu halten.
Clemens Christl arbeitet für den Kulturrat Österreich.