„Im Urlaub“, hat mir mein Vater mal gesagt, „da bin ich immer bewußtlos“. Es gibt Fotos von diesen Urlauben, im immer gleichen Hotel, liebevoll in kleinen Fotobüchern aufbewahrt: Meine Stiefmutter mit einem Glas Weißwein und vice versa – und dann das Essen. Das selbst gebackene Brot, ein Traum, seit 15 Jahren und jedes Jahr auf’s Neue als hätte es das letzte nicht gegeben.
Wenn wir schon nicht aufhören können, so möchten wir wenigstens ausruhen. Das Leben ist halt nicht Null oder Eins. Ich jedenfalls schaue zum Ausruhen zum Sterben verdammte Blumen in Vasen an. Sie zu beschneiden, ihnen Wasser zu geben, sie zu drapieren und ihnen dann bestenfalls beim Aufblühen oder eben nur beim Sterben zuzuschauen, das macht mich irgendwie glücklich. Irgendwie sind wir Menschen ja so ähnlich, nur mit komplexeren Gefühlen. Wir haben keine Angst vor dem Sterben sondern vor der Sterblichkeit, wir haben keine Angst vor dem Alter, aber vor dem Altern. Ab 30 nicken wir wohlwollend, wenn wir für jünger gehalten werden. Dabei ist die Menschheit im Laufe ihrer Entwicklung nie älter gewesen als heute. Um dem Verwelken zu entkommen, geißeln wir uns, weil unsere erschöpften Körper noch die einzigen Territorien sind, die wir beherrschen können. Während die normative Wohlstandsblase mittels dem Zählen von Schritten und Omega 3-Fettsäurewerten an oberster Stelle der Maslowschen Bedürfnispyramide nicht mehr Selbstverwirklichung sondern Selbstoptimierung stellt, ziehen sich marginalisierte Gruppen überidentifizierend in ihre nichtkapitalistischen Safe Spaces zurück. Wir haben verlernt mit Differenzen und Wider – sprüchen umzugehen, während der Krieg zwischen Glaubenssätzen tobt. Wir reden nicht mehr miteinander, sondern nur noch mit unseren Therapeutinnen. Dazwischen bestenfalls betretenes Schweigen oder schlechtestenfalls richtiger Krieg, der richtigen Körpern das Leben aushaucht.
Es ist schade, dass wir eigentlich beständig das Gefühl haben, falsch zu sein, nicht anzukommen und das Vertrauen in eine funktionierende Gemeinschaft inexistent geworden ist. Dieses Unbehagen können wir zwar mit Psychopax etwas sedieren, aber es hört nicht auf uns anzubrüllen. Die Sehnsucht nach Stille wird laut. Sie manifestiert sich unter anderem auf dem schon in der Früh mittels Badetuch reservierten Liegestuhl in der ägäischen Hitze. Die Luft wabert. – Heute verstehe ich meinen Vater. Es ist vermutlich so eine Merkleinsche Interpretation eines Yogaretreats oder Schweigeseminars. Aber auch jede Interpretation eines Seminars, Retreats oder Urlaubs findet ihr jähes Ende. Wir sind nun mal Gemeinschaftswesen, die miteinander auskommen möchten oder müssen und nach neuesten Erkenntnissen sogar sollten, denn Einsamkeit und fehlende soziale Ressourcen lassen uns sprichwörtlich eingehen. Man kann viel sagen, aber nichts verstehen und anstatt uns ständig gegenseitig zu widersprechen, sollten wir vielleicht erst einmal zuhören, denn um uns verstanden zu fühlen, müssen wir noch nicht einmal einer Meinung sein. Ich habe jedenfalls die stille Hoffnung, dass wir gut in einer heterogenen Gesellschaft leben können, denn unsterblich oder völlig geschützt sind wir nun mal nicht, so sehr wir es auch versuchen.
Veronika Merklein ist bildende Künstlerin und lebt in Wien.