„… aus dominanten Vorstellungen auszubrechen …“

Imaginarios im Gespräch mit Simon Inou und Carlos Toledo

Bildpunkt: Als wir vor zehn Jahren begannen, diese Zeitschrift zu machen, war der Umgang mit Bildern ein zentrales Thema. Über Bildpolitiken heißt es in der ersten Ausgabe: „Bilder sind nicht nur die Überbringer von – möglicherweise versteckten – Botschaften. Ideologie ist also nicht alles, was es in, auf und hinter den Bildern zu sehen gibt. Bilder tragen nicht nur weiter und vermitteln, sondern produzieren selbst Diskurse.“ Welche – ganz allgemeinen – Konsequenzen sind daraus eurer Meinung zu ziehen?
S.I.:
Wir haben es heute mit einer unkontrollierbaren Flut von Bildern zu tun. Die Unkontrollierbarkeit ist problematisch, wenn die Bilder etwa von woanders kommen und dieses Woanders, dieses Andere repräsentieren sollen. Nehmen wir als Beispiel Bilder von „Afrika“ im Rahmen von entwicklungspolitischen Diskursen. Die Frage ist immer, ob diejenigen, die abgebildet werden, von ihrer Abbildung wissen und über die Art und Weise, wie sie gezeigt werden, mitbestimmen können. Und die zweite Frage ist, ob sie von der Abbildung mit profitieren. Die eine ist eine ethische, die andere eine ökonomische Frage, beide sind direkt mit der Bildproduktion verknüpft. Die dritte Frage ist, was soll mit den Bildern gesagt werden. An diesem Punkt führe ich oft strittige Auseinandersetzungen etwa mit NGOs: Gezeigt wird eine Familie in einem Dorf, dieses Dorf steht dann für den gesamten Kontinent und dessen Hilfsbedürftigkeit. Das Dorf ist aber das Dorf, und nicht Afrika.
C.T.:
Die Flut an Bildern ist ein Diskurs. Im Neoliberalismus ist die Parallelexistenz von verschiedenen Bilderwelten normal. Manchmal scheint mir sogar ein Bilderverbot die einzige radikale Antwort auf diesen „Markt“ der Bilder. Im Versuch, subversive Bilder zu kreieren, werden schnell marginale Welten reproduziert. Da bin ich sehr ein Gestalter der (Spät)Moderne, wo das Bild eine Schule des Sehens vorschlägt, wo das Signifikat und der Signifikant verschmelzen. Ein Beispiel wäre: Auf einer Zündholzschachtel sind die Zündholzer abgebildet, oder Feuer, höchstens noch ein Symbol für Licht, ein Hahn oder die Sonne, aber keine Bierflasche, nicht Werbung.

Bildpunkt: Im linken politischen Diskurs, auch im Feminismus und im Antirassismus, lassen sich grob zwei bildpolitische Ansprüche ausmachen: Andere Bilder machen und Bilder anders machen. Bei „anderen Bildern“ geht es oft erst einmal um das Reklamieren von „eigenen“, bis dahin in hegemonialen Öffentlichkeiten nicht sichtbaren Darstellungen. Bilder anders zu machen ist dann häufig ein weiterer Schritt: Dabei sollen gewohnte Bildsprachen und eingefahrene Darstellungsweisen überwunden werden. Gehören beide Strategien zusammen oder widersprechen sie sich auch?
C.T.:
Wahrscheinlich würden die kraftvollsten emanzipatorischen Bilder entstehen, wenn beides geschieht. Aber ich bin eher der, der die Bilder „anders“ machen will. Ich finde, die Geburt der visuellen Poesie –Vorläuferin der visuellen Gestaltung – zeigt, dass der Bruch mit herkömmlichen Darstellungsweisen irritierender sein kann als die Kontinuität „anderer Bilder“ in konventioneller Form. Deshalb kann ich das Reklamieren von „eigenen“ Bildern im Mainstream nicht unkritisch befürworten. Vielmehr erfreut mich, wenn diskursive Bilder subversive Öffentlichkeiten erzeugen. „Punk Graphik Design“ wäre ein gutes Beispiel dafür.
S.I.:
Die Produktion von Bildern hängt immer von unserer Sozialisation ab. Man orientiert sich in der Herstellung eigener Bilder immer an den Bildsprachen, mit denen man aufgewachsen ist. Die müssen kritisch hinterfragt werden. Wir haben 2007 die Kampagne Black Austria gemacht (www.blackaustria. at). Die Ausgangsfrage war, wie wir der dominanten Darstellung von Schwarzen in den Medien etwas entgegensetzen können. Wir haben Bilder von Schwarzen in ganz normalen Berufen plakatiert und damit gezeigt, dass es möglich ist, in Österreich Bilder von Schwarzen jenseits des Opfer-Täter- Schemas zu zeigen.

Bildpunkt: Nun sehen ja die Bildpolitiken von Bildpunkt und fresh. Black Austrian Lifestyle sehr unterschiedlich aus: künstlerische Bildstrecken, die das Heft in Schwarzweiß durchziehen und autonom, aber dezent die Texte begleiten im Bildpunkt; bunte, oft ganzseitige Fotos, auf denen die interviewten oder im Text behandelten Personen abgebildet sind in fresh. Wie begründet ihr die Entscheidung zum jeweiligen Umgang mit Bildern?
S.I.:
Für fresh haben wir eine klare Bildpolitik, nämlich eine, die sich gegen herkömmliche Darstellungen von Menschen mit afrikanischer Herkunft wendet. Hier haben wir auch Anzeigen von manchen NGOs schon abgelehnt, weil die Darstellung von leidenden Kindern, die der Steigerung des Spendenaufkommens dienen soll, nicht unserem Ansatz entspricht. Wir wollen ermächtigende Bilder produzieren. Bilder, mit denen die Communities, die diese Zeitschrift lesen, sich identifizieren können. Diese Politik bricht mit einer jahrzehntelangen Tradition der Darstellung von Schwarzen in Österreich. Sie zeigt auf, dass es andere, positive Möglichkeiten der Repräsentation gibt.
C.T.:
Die Grundentscheidung im Bildpunkt ist, dass Bilder nicht illustrativ sind, sondern eigene Statements zum Thema darstellen. Es geht eben darum, wie in der Frage davor, anders zu gestalten und nicht „Andere“ zu zeigen. Ich glaube nicht an Kommunikation im Kapitalismus. Da ist – vor allem – die historische Erfahrung im Umgang mit dem weiblichen Körper sehr brutal. Es interessiert mich nicht, der Mehrheit in einer Wohlstandsgesellschaft zhu gefallen. Ich will in Österreich nicht populär sein.

Bildpunkt: In den Visual Studies ist man dazu übergegangen, Bilder – anders als etwa in der Kunstgeschichte – weniger als solche, als vielmehr im Kontext von Symbolsystemen, ideologischen Formationen und Machtbeziehungen zu betrachten. Was bedeutet das für die Produktion von Bildern in bestimmten Umgebungen, also Zeitschriften oder auch Ausstellungen?
C.T.:
In den Cultural und Visual Studies will man möglichst differenzierte Bilder erzeugen, abhängig von den Kontexten. Auch im Bildpunkt gab und gibt es de-, post- oder antikoloniale Bildbeiträge. Mir geht es da aber mehr um ein „und“, d.h. um Allianzen und nicht um Abgrenzungen. Da kann essentialistisches „Eigenes“ eine Ergänzung von Universellem sein. Ich neige in der Gestaltung eher zum Kausalen, bin aber dem Kasualen nicht abgeneigt.
S.I.: Die Bilder haben eine gewaltigen Macht. In Kamerun bin ich mit den Bildern einer dualistischen Welt aufgewachsen: Paris, Stadt der Lichter – Yaoundé, Hauptstadt Kameruns, Stadt der Finsternis. Die ehemalige Kolonialmacht hat die Bilder und damit die Vorstellungswelten geprägt. Die Vorstellungen davon, was gut und was schlecht ist, was lebens- und was verachtenswert. Solche Vorstellungen reproduzieren sich selbst noch im Rahmen des entwicklungspolitischen Diskurses. Der Anspruch, dass Afrika die Hilfe von Europa braucht, ist Teil davon. Er ignoriert etwa die Tatsache, dass die Überweisungen aus der afrikanischen Diaspora in vielen Ländern die Entwicklungshilfe bei weitem übersteigen. Wir sind in solchen Bildern gefangen. Es geht letztlich darum, auch in den Bildproduktionen aus solchen Vorstellungen auszubrechen.


Simon Inou ist Journalist und Gründer von M-MEDIA – Verein zur Förderung interkultureller Medienarbeit und Herausgeber des Magazins fresh. Black Austrian Lifestyle. Er lebt in Wien.

Carlos Toledo ist Grafik-Designer und Ausstellungsgestalter und arbeitet gemeinsam mit Eva Dertschei – Toledo i Dertschei (www.studiotid.com) – in Wien. Seit zehn Jahren machen sie das Layout für den Bildpunkt.

Das Gespräch wurde als Interview im Oktober 2015 von Jens Kastner geführt.