In meinem früheren Text Participatory Art: A Paradigm Shift from Objects to Subjects[1] hatte ich bereits den Paradigmenwechsel von den Beziehungen zwischen Kunstobjekten und dem Publikum (oft als „relationale Ästhetik“[2] bezeichnet) zu Beziehungen zwischen Subjekten beschrieben: Dabei initiiert der/die KünstlerIn Interaktionen und leitet freiwillige (oder in vielen Fällen bezahlte) TeilnehmerInnen bei verschiedenen Ereignissen und Aktionen im Kunstkontext oder im öffentlichen Raum an.
Viele der ursprünglichen Versprechen partizipatorischer Kunst und der Erwartungen an sie erscheinen heute als überbewertet bzw. als überhöht. Um zu klären, warum bzw. inwiefern, muss man sich zunächst ihre Hauptanliegen und Ziele vergegenwärtigen: das Ziel etwa, die klare hierarchische Trennung zwischen KünstlerIn (als Experte/ Expertin und als wesentlich für die Schaffung des Werkes) und Publikum (als passive BeobachterInnen) aufzu – lösen; das Ziel, durch die Einbeziehung verschiedener Publikumssegmente, die sich bislang wegen der ihr eigenen elitistischen und einschüchternden Beschaffenheit nicht für Kunst interessierten, demokratische Veränderungen in der Gesellschaft voranzutreiben, die vor autoritären Regierungstechniken strotzend Ungleichheit und Hierarchien aufrechterhält; das Ziel, soziale Ungerechtigkeiten in kulturellen, sozialen und politischen Strukturen aufzudecken. In dieser Hinsicht ist die einst von Giorgio Agamben[3] gestellte Frage nach den hinter all dem liegenden juridischen Strukturen eine der wesentlichen Fragen dieser Kunstpraxis. Und dies selbst dann, wenn sie lediglich rhetorisch gestellt wird und die KünstlerInnen zumindest hoffen können, Aufmerksamkeit für die aufgezeigten Ungerechtigkeiten wecken, mehr jedenfalls als substanzielle Veränderungen herbeiführen zu können.
Die wichtigste Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Formen partizipatorischer Kunstprojekte scheint mir nach wie vor evident: Die erste Form geht auf die verschiedenen Wellen künstlerischer und kuratorischer/institutioneller Kritik zurück, dreht sich um Partizipation innerhalb des Kunstsystems und handelt von den Beziehungen zwischen a) Kunstinstitution und Publikum, b) KünstlerIn und Kunstinstitution (Museum, Galerie etc.) und c) KünstlerIn und KuratorIn etc. Auch wenn sie noch immer relevant ist, so sind doch die Grenzen dieser Praktiken in der bekannten Kritik an der affirmativen Rolle der Institutionskritik, die nicht zu fundamentalem institutionellem Wandel führt, bereits angegangen worden. Auch wenn die Hauptziele der partizipatorischen Kunst von der Notwendigkeit herrühren, die bestehenden Hierarchien zwischen „Hochkultur“ und „Massenkultur“ (bzw. kunst) zu dekonstruieren und über die individualitätszentrierte Kunst und ästhetikzentrierte Autorität hinauszugehen, wurden sie zu Mitteln, die dazu dienten, die Projektionen, Versprechen und Erwartungen des Feldes auszuweiten.
Die zweite Form partizipatorischer Kunstpraxis ist diejenige, die Partizipation als Mittel dafür versteht, eine demokratischere Gesellschaft zu schaffen, weshalb sie auch mehr auf grundlegende soziale und politische Veränderungen abzielt (die nicht auf Änderungen im Kunstsystem beschränkt bleiben). Diese etwas ambitioniertere Form der partizipatorischen Kunst impliziert die Notwendigkeit, Partizipation in einem allgemeineren soziopolitischen Kontext der Widersprüche gegenwärtiger demokratischer Gesellschaften zu reflektieren.
Mein Hauptanliegen in dem erwähnten früheren Text bestand darin aufzuzeigen, dass partizipatorische Kunst weit besser verstanden werden kann, wenn sie im Kontext philosophischer, kultureller und soziopolitischer Theorien der Demokratisierung und nicht nur in kunsthistorischen und kuratorischen Zusammenhängen gelesen wird, wie das zu jener Zeit in Kunstkreisen und der Fachliteratur hauptsächlich geschah. Das ist nicht dasselbe wie zu sagen, der ganze Diskurs um partizipatorische Kunst sei falsch konstruiert oder falsch fokussiert oder ihn für die Überbetonung sozialer und ethischer Werte gegenüber ästhetischen und formalen Kriterien zu kritisieren. Kunsttheorien reichen nicht immer aus, um die Lücken zwischen den Versprechungen der Partizipation in der Theorie und ihren Unzulänglichkeiten in konkreten Kunstprojekten in verschiedenen Kontexten zu verorten. Mich interessieren die Versprechen und die in diesen Projekten im Hinblick auf bestimmte einzigartige Beziehungen zwischen Subjekten geweckten Hoffnungen und die Effekte dieser Projekte auf das wirkliche Leben der TeilnehmerInnen, nicht nur innerhalb der „Laborbedingungen“ von Kunstgalerien.
Philosophische, politische und soziologische Theorien werden heute hauptsächlich von post-konzeptueller und sozial wie politisch engagierter Kunst aufgegriffen, oder von Kunstaktivismus, auch wenn einige frühere Diskurse und Praktiken – wie etwa community-based Kunstprojekte von Künstlern wie Stephen Willats in den 1960er und 70er Jahren – die gegenwärtige Theorie und Praxis bereits vorweggenommen haben.
Partizipation ist eine herausfordernde Aktivierung bestimmter Beziehungen, die von KünstlerInnen angestoßen und angeleitet und häufig von Kunstinstitutionen auf den Weg gebracht werden, aber deshalb auch oft objektiviert werden, sobald sie durch Kurzzeitprojekte begrenzt und von den Forderungen nach Resultaten und an Besucherzahlen gemessenem Erfolg unter Druck geraten. Während das Publikum eingeladen ist, sich aktiv zu beteiligen, schafft der/ die KünstlerIn partizipatorischer Projekte eine Schnittstelle, die gut vorbereitet sein muss und die in höchstem Maße in einer spezifischen sozialen, kulturellen und politischen Umgebung kontextualisiert ist. Diese Verlagerung [hin zu partizipatorischen Projekten in der Kunst] geschieht sowohl als unvermeidliche Antwort der Kunstpraxis auf die Redefinition des Konzept von Gemeinschaft und des Kommunitären wie auch als eine Art von Fortschreiben der gesellschaftlichen Forderung nach Inklusion. Die Verlagerung macht außerdem jene marginalisierten Gruppen von BürgerInnen sichtbar, die bislang aus ihrer eigenen sozialen Umgebung oder von der Teilhabe am öffentlichen kulturellen Leben ausgeschlossen waren.
Ironischer Weise entsteht so ein Teufelskreis, der das elitistische und kommerzielle Kunstsystem wiederbelebt und so am Leben erhält. Auf offenere Kunstinstitutionen und eine grundlegendere Einbeziehung des Publikums in die Prozesse künstlerischer Praxis und Produktion ausgerichtet, produziert die Tendenz zur Partizipation neue Distinktionen und „Eliten“, indem das Publikum auf unterschiedlichen Ebenen direkt involviert wird, ohne dass die TeilnehmerInnen in allen Stadien des Prozesses gleichermaßen anerkannt würden, etwa im Hinblick auf die Repräsentation der Ergebnisse in nachfolgenden Ausstellungen, die Teilhabe an Wanderausstellungen und den eventuellen Verkauf der Resultate. Solche Differenzierungen des Publikums können zur Entwicklung diversifizierter künstlerischer und kultureller Politiken unter KuratorInnen und KunstmanagerInnen führen, wie auch zu größerer Sensibilisierung beim „elitistischen“ Museums- und Galerienpublikum für „andere“ BesucherInnen bzw. TeilnehmerInnen. Aber oft erweisen sie sich als nicht einfach zu handhaben und fallen auf dem Weg zum Ruhm wieder unter den Tisch (und enden beispielsweise in einem Dokumentationsvideo). Das bedeutet allerdings nicht zu behaupten, dass die zweite Form partizipatorischer Kunst notwendiger Weise erfolgreicher hinsichtlich der Erfüllung der Versprechen ist, sie also als einzig „gelingenden Akt“ im Sinne J.L. Austins Sprechakttheorie zu beschreiben. Nach Austin hängt der Unterschied zwischen dem, was gesagt und dem, was getan wird vom Kontext und den Umständen ab, und letztlich kann erst der Kontext die Erfüllung des Versprechens bewirken.[4] Deshalb möchte ich mich auf die Versprechen und die Gründe ihrer Nicht-Einhaltung bei der zweiten Variante partizipatorischer Kunstpraxis konzentrieren.
Es ist wichtig festzuhalten, dass die Probleme partizipatorischer Kunstpraxis, die Versprechen auf Demokratie und Emanzipation einzulösen, unmittelbar mit dem Kontext gegenwärtiger, neoliberaler Gesellschaften verknüpft sind, in denen sie agieren. Insofern verorte ich den Hauptgrund für das Scheitern solch systematischer „mission impossible“ mehr in den inneren Widersprüchen gegenwärtiger demokratischer Gesellschaften als in der Struktur der Kunstprojekte selber. In welcher Form auch immer Partizipation im Kontext der Kunst zu diskutieren ist, sie bezieht sich notwendiger Weise immer auf ein bestimmtes „Wir“ und auf eine spezifische Identifikation mit einer bestimmten community, in denen andere Mitglieder ausgewählter Gruppen (Teile des Publikums, bestimmte Berufsgruppen, Wohnungslose, Kinder) in Koexistenz zu diesem „Wir“ geraten.
Partizipatorische Kunstprojekte, die auf Demokratisierung abzielen, können darüber hinaus mit dem älteren philosophischen Ansatz von John Dewey in Verbindung gebracht werden, vor allem in Zusammenhang mit der kritischen Auseinandersetzung um Erziehung als Mittel zur sozialen Veränderung.[5] Es ist kein Zufall, dass viele partizipatorische Kunstprojekte von den Bildungs- bzw. Vermittlungsabteilungen von Museen oder anderen Institutionen betrieben werden und sich selbst kontextbezogen auf Pädagogik und Epistemologie konzentrieren. Der „participatory turn“ und der „educational turn“ sind durch derzeitige künstlerische und kuratorische Projekte häufig miteinander verknüpft, die sich auf kritische Erziehung und Pädagogik beziehen und sich meist auf die Ideen von Ivan Illich (Die Entschulung der Gesellschaft), Paulo Freire (Pädagogik der Unterdrückten), Peter McLaren (Critical Pedagogy and Predatory Culture, Life in Schools: An Introduction to Critical Pedagogy in the Foundations of Education) und Jacques Ranciere (Der unwissende Lehrmeister) berufen. Die Forschungsund Kunstprojekte von KünstlerInnen wie Olafur Elliasson, Tanja Ostojić, Tania Bruguera, Ahmet Ögüt, Chto Delat oder Pablo Helguera haben das pädagogische Potenzial partizipatorischer und sozial orientierter Kunstpraktiken deutlich herausgestellt.
Die zweite Variante partizipatorischer Kunstprojekte bringt KünstlerInnen häufig mit dem zivilgesellschaftlichen Aktivismus zusammen und führt zu Kollaborationen in Solidarität mit bereits existierenden sowie neu geschaffenen Organisationen von AktivistInnen, um das Paradox der Demokratie in neoliberalen Zeiten zu überwinden.6 Partizipatorische Kunst stellt sich Problemen wie der sozialen Inklusion verschiedener Gemeinschaften und Individuen – hinsichtlich Ethnizität, Geschlecht und Klasse – in allen gesellschaftlichen Strukturen und handelt häufig von political correctness sowie Kritik von Privilegien und Ausbeutung als Mittel zur Überwindung von Ungleichheit.
Um es auf den Punkt zu bringen: Der Paradigmenwechsel von den Objekten zu den Subjekten kann nicht jenseits des allgemeinen gesellschaftlichen Kontextes diskutiert werden und ohne alle involvierten Prozesse (Regierungspolitiken, ökonomischen Wandel, institutionelle Abhängigkeiten kulturpolitischer Entscheidungs – trägerInnen von der staatlichen Politik, lokalpolitische Überlegungen etc.) in Betracht zu ziehen. Oder, um es noch direkter zu sagen, der größere soziopolitische und ökononomische Kontext, in dem Kunst produziert und praktiziert wird, überschreibt die ambitionierten Ziele partizipatorischer Kunst.
Suzana Milevska ist unabhängige Kunsttheoretikerin und Kuratorin und lebt in Skopje, Mazedonien.
Aus dem Englischen übersetzt von Jens Kastner.
[1] Suzana Milevska, Partizipatorische Kunst. Überlegungen zum Paradigmenwechsel vom Objekt zum Subjekt, in: springerin, Heft 12/2, 2006, S. 18-23, http://www.springerin.at/dyn/heft_text.php?textid=1761
[2] Nicolas Bourriaud, Relational Aesthetics, Paris 2002, S. 9.
[3] Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt am Main 2002.
[4] John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How to Do Things with Words), Stuttgart 1986.
[5] John Dewey, Education and Social Change, in: Fred Schultz, Sources. Notable Selections in Education (3rd ed.), McGraw-Hill Dushkin, New York 2001, S. 333–341.
[6] Paul Clements, The Recuperation of Participatory Art Practices, in: International Journal of Art and Design Education, 30.1, 2011.: S. 18–30