Arbeitslosengeld: Billiger Kredit oder Existenzsicherung?

Eine Beispielgeschichte mit Fortsetzungscharakter. Erfolgreicher Widerstand gegen das AMS.

Die folgende Geschichte handelt von dreierlei: Wie Widerstand gegen den Entzug von Arbeitslosengeld zum Erfolg führen kann, wieso ein positiver Arbeitslosengeldbescheid auch Jahre später noch nicht heißt, dass auch zu Recht Geld bezogen wurde, und natürlich vom Stand der Aushandlungen mit bm:ask (Sozialministerium), AMS und SVA.

Im Frühjahr 2013 ist Georg Mayrhofer mit tristen Aussichten konfrontiert: drei Jahre Arbeitslosengeldrückforderung (in Summe etwa € 15.000), viele Monate nachträglicher Sozialversicherungslosigkeit, Unklarheit über aktuelle Arbeitslosengeldansprüche. Hinzu kommt aber auch ein ausgeprägter Wille, die Situation nicht einfach so hinzunehmen sowie Unterstützung von FreundInnen und KollegInnen. Relativ unklar präsentierten sich aber sowohl die Rechtslage als auch – insbesondere – die Auslegung derselben durch involvierte Institutionen und Gerichte.

Wie bei vielen Kunst- und Kulturschaffenden reihen sich bei Mayerhofer unterschiedlichste Beschäftigungsformen mit erwerbslosen Zwischenphasen am AMS aneinander. Als im Herbst 2009 wieder einmal Tätigkeitslosigkeit und Einkommenslosigkeit zusammen kommen, ist er nicht sicher, ob er Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Rein theoretisch ist der Anspruch eindeutig gegeben: Anwartschaft erfüllt, Arbeitswilligkeit erfüllt, Arbeitslosigkeit – jedenfalls subjektiv gesehen – auch. Er weist die Beschäftigten am AMS darauf hin, dass er gerade eine größere Einnahme aus selbstständiger Tätigkeit erzielt hat, bekommt aber grünes Licht: Per Bescheid teilt das AMS mit, dass ihm Arbeitslosengeld zusteht. Dasselbe Ergebnis bringt jeder weitere Antrag auf Arbeitslosengeld bis Ende 2011.

2011 steht die Einkommenssteuererklärung für 2009 an. Via Steuerberatung kommt der Hinweis, dass für 2009 eine nachträgliche Versicherungserklärung an die SVA notwendig wird. Noch wirkt alles im grünen Bereich. Ungesagt bleibt „nur“, dass eine Pflichtversicherung in der SVA Folgen für eventuell bezogenes Arbeitslosengeld hat. Weder AMS, noch SVA oder der Hauptverband der SozialversicherungsträgerInnen, über deren Datenbanken die automatische Verteilung sozialversicherungsrelevanter Informationen wie beispielsweise rechtskräftige Einkommenssteuerbescheidergebnisse oder Versicherungszeiten erfolgt, lassen Mayrhofer wissen, was auf ihn zukommt – bis der Rückforderungsbescheid des AMS für alle Bezüge im Kalenderjahr 2009 in der Post liegt.

Rückforderung, Widerspruch, mehr Rückforderung

Baff über diese Frechheit – schließlich hatte Georg Mayrhofer dem AMS immer in aller Ausführlichkeit mitgeteilt, welche Jobs und daraus resultierende Einkommen er hatte –, begann er sich mit dem Thema ausführlicher zu beschäftigen und erhob Einspruch. An dieser Stelle ging dann vorläufig alles schief: Amtsschimmel, Zufall sowie eine formlose Erklärung an die SVA aus dem Jahr 2001 sorgten nicht nur für eine Ablehnung des Einspruchs, sondern auch gleich noch für die Ankündigung, nunmehr auch die Rechtsmäßigkeit der Arbeitslosengeldbezüge 2010 und 2011 zu überprüfen.

Das Resultat war eindeutig, wenn auch letztlich gegenüber höchstgerichtlichen Instanzen nicht haltbar: Speziell beruhend auf der Erklärung Mayrhofers an die SVA im Jahr 2001, in der er festhielt, selbstständig künstlerisch tätig zu sein, aber nicht genug zu verdienen, um in die Pflichtversicherung einbezogen zu werden, erklärte das AMS per Bescheid, das Arbeitslosengeld sei nunmehr – im Spätherbst 2011 – einzustellen, weil Mayrhofer offensichtlich durchgehend und nachhaltig selbstständig tätig gewesen sei, wenn auch mit mäßigem wirtschaftlichen Erfolg. Der ausschlaggebende Grund sei ein Satz im § 12 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG), nach dem nur arbeitslos sei, wer die Tätigkeit beendet hat, also nicht nur reduziert. Mayrhofer habe aber offensichtlich nie aufgehört, selbstständig künstlerisch tätig zu sein, und daher seit 2009 immer wieder unrechtmäßig Arbeitslosengeld bezogen. Es folgte ein Rückforderungsbescheid auch für die Jahre 2010 und 2011.

Daraus resultierte ein noch dringenderes Problem: Nicht nur schien es keine Möglichkeit zu geben, den Anspruch auf Arbeitslosengeld weiterhin oder je wieder geltend zu machen. Es fiel damit auch die Möglichkeit weg, via AMS krankenversichert zu sein – auch rückwirkend. Eine rückwirkende Pflichtversicherung in der SVA war wiederum mangels Überschreiten der Versicherungsgrenzen 2010 und 2011 nicht möglich.

Höchstgerichtliche Sprüche

Sich die nunmehr drei Jahre Rückforderung gefallen zu lassen, kam für Georg Mayrhofer nicht infrage. Mit anwaltlicher Unterstützung zog er sowohl gegen die Rückforderung 2009 als auch gegen den Bescheid zur Einstellung seiner AMS-Bezüge bis vor den Verfassungsgerichtshof (VfGh), von dem jedoch beide Beschwerden mangels für den VfGh erkennbarer Grundrechtsrelevanz an den Verwaltungsgerichtshof (VwGh) redirigiert wurden. Im Frühjahr 2013 war erstere negativ entschieden, und auch bzgl. letzterer die Hoffnung auf einen positiven Entscheid nicht allzu groß.

Im Sommer 2013 begann sich die Hartnäckigkeit doch noch auszuzahlen: Der VwgH hob den Einstellungsbescheid von 2011 auf. Begründung: Eine Einstellung des Arbeitslosengeldes 2011 darf nicht mit einer selbstständigen Tätigkeit 2009 und davor veranlasst werden, sondern es muss das Kalenderjahr 2011 berücksichtigt werden; zum anderen, und hier wird es wohl noch spannend, damit, dass für die Beurteilung, ob Arbeitslosigkeit vorliegt (AlVG §12), die Einstellung der anwartschaftsbegründenden Tätigkeit notwendig ist. Im Fall Mayrhofer war damit alles klar: Die Anwartschaft kam aus unselbstständigen Beschäftigungen, die selbstständigen Tätigkeiten hatten damit nichts zu tun.

Was im Folgenden geschah, hätte durchaus bereits 2009 greifen können: Ohne groß auf den VwGh-Entscheid einzugehen, bekam Georg Mayrhofer zunächst telefonisch mitgeteilt, dass er die Rückzahlungen (per Dauerauftrag und Ratenzahlungen geregelt) beenden soll. Anschließend folgte ein Bescheid, dass ihm Arbeitslosengeld rechtmäßig zusteht – seit 2010. Die entsprechenden Rückforderungen wurden widerrufen, die Sache ohne weitreichender zu schürfen aus der Welt geschafft. Folgerungen für ähnliche Fälle bleiben damit jedoch nicht so eindeutig, wie sie sein könnten. Georg Mayrhofer jedenfalls gebührt großer Dank für das Ausfechten seiner Sache – mit dem positiven Effekt, dass er rund zwei Drittel der Rückforderungen rückgängig machen konnte, und dem schönen Nebeneffekt, dass bestimmte Forderungen seitens des AMS so nicht mehr erhoben werden können.

Aktueller Stand der Dinge

Doch insgesamt ist derzeit leider wenig Bewegung zu spüren. Ganz im Gegenteil wirken aktuelle AMS-Probleme, die dem Kulturrat zugetragen werden eher danach, als hätte sich am AMS wieder einmal durchgesetzt, dass niemand weiß, was Sache sein sollte, ergo jedes Wohnsitz-AMS weitgehend freihändig entscheidet. Erschwerend kommt hinzu, dass Regelungen im Detail immer ausgefeilter und komplizierter werden. Ob und welche Auswirkungen der Spruch des VwGh, dass für die Beurteilung von Arbeitslosigkeit nur die Beendigung oder allfällige Reduzierung der anwartschaftsbegründenden Tätigkeit entscheidend ist, haben wird, konnte bislang nicht mit dem bm:ask besprochen werden. Eine verbindliche Klärung würde jedenfalls einiges erleichtern, ebenso, wenn endlich wieder klargestellt würde, dass selbstständige Tätigkeiten in Jahren ohne (nachträglicher) Pflichtversicherung grundsätzlich zu keiner Rückforderung führen dürfen. Noch liegen die Probleme aber durchaus tiefer: Bis und ob am AMS eineR drauf kommt, dass mit den selbstständigen Zuverdiensten irgendwas doch nicht passt, können Jahre vergehen. Wenn seitens ranghoher BeamtInnen in AMS oder bm:ask also hin und wieder zynischerweise zu hören ist, dass Arbeitslosengeld für auch Selbstständige grundsätzlich als billiger Kredit zu sehen sei, auf dessen Rückzahlung das AMS gegebenenfalls verzichtet, entspricht dies leider öfter dem realen Zustand als wenn davon die Rede ist, dass es einen Anspruch gibt, solange bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Widerstand, auch rechtlicher, hilft aber durchaus – jedenfalls solange der Atem lang ist!


Clemens Christl arbeitet für den Kulturrat Österreich und lebt in Wien.