Angriffe auf sexuelle und reproduktive Rechte

Fragen der sexuellen und reproduktiven Rechte stehen europaweit wieder auf der Tagesordnung. Konservative und religiöse Gruppen und Parteien sind besonders liberale Abtreibungsregelungen und eine nichtdiskriminierende Sexualerziehung ein Dorn im Auge. Besonders die geplante Verschärfung der spanischen Abtreibungsgesetzgebung, der Estrela-Bericht und die Europäische Bürgerinitiative One of Us erregte die Gemüter. Ein Überblick.

Spanische Verschärfungen

Das in Spanien geplante Gesetz zum Schutz des ungeborenen Lebens und der Rechte der schwangeren Frau soll die erst 2010 von der sozialdemokratischen PSOE eingeführten gesetzlichen Liberalisierungen wieder rückgängig machen und zusätzliche Restriktionen einführen. Das bisher noch geltende Gesetz über die sexuelle und reproduktive Gesundheit und den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch hatte mit einer der fortschrittlichsten Regelungen weltweit den Schwangerschaftsabbruch in den ersten 14 Wochen zu einem Recht der Frauen gemacht. In dieser Frist können Frauen in Spanien seitdem selbst entscheiden, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht. Dieses Recht soll nun, nur vier Jahre später, wieder abgeschafft werden und durch eine strenge Indikationsregelung ersetzt werden, die Abtreibungen nur noch in Ausnahmefällen zulässt. Selbst nach einer Vergewaltigung soll eine Frau erst Anzeige erstatten müssen, um die Genehmigung zum Abbruch der aus der Vergewaltigung resultierenden Schwangerschaft zu erhalten. Die einzige andere Ausnahme, unter der eine Abtreibung noch zulässig sein soll, ist die medizinische Indikation, wenn einer Frau durch die Schwangerschaft schwere gesundheitliche Schäden drohen. Anders als bei der medizinischen Indikation international üblich muss diese Gefährdung allerdings durch zwei Spezialist_innen in der diagnostizierten Krankheit der Frau festgestellt werden. Darüber hinaus müssen die zu erwartenden gesundheitlichen Einschränkungen nicht nur schwer sondern auch dauerhaft sein. Eine in dem Gesetzentwurf vorgesehene Pflichtberatung soll ausdrücklich auf das mögliche Schmerzempfinden des Fötus hinweisen. Zusätzlich soll eine siebentägige Bedenkzeit zwischen Beratung und Abtreibung eingeführt werden. Gegen diesen Gesetzesentwurf gibt es breite und große gesellschaftliche Proteste. In einem Protestbrief wiesen 125 wissenschaftliche und medizinische Vereinigungen auf die Gefahr hin, dass ca. 50 000 Frauen auf illegale und daher unsichere Abtrei- bungen zurückgreifen müssten. Auch das europäische Parlament hat bereits im Januar dieses Jahres über die geplante Gesetzesverschärfung debattiert. Rund die Hälfte der Abgeordneten – Sozialdemokrat_ innen, Grüne, Liberale und Linke – sprachen sich energisch gegen eine solche Maßnahme aus. Zwar fallen diese Gesetze unter nationales Recht, die EU sei jedoch dafür verantwortlich zu überprüfen, dass diese Gesetze nicht diskriminierend seien, so der Abgeordnete Siim Kallas in Vertretung des Gesundheitskommissars.

Estrela-Bericht

Auch der Estrela-Bericht über die „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte“ löste im EUParlament heftige Debatten aus. In dem Bericht wurde empfohlen, „aus Erwägung der Menschenrechte und der öffentlichen Gesundheit“ allen Frauen in der Europäischen Union einen legalen Zugang zu „hochwertigen Diensten im Bereich des Schwangerschaftsabbruches“ zu gewährleisten. In Bezug auf die Verweigerung aus Gewissensgründen wird darin kritisiert, dass es in einigen Ländern trotzt Legalität des Schwangerschaftsabbruchs teilweise unmöglich sei, auch einen durchführen zulassen. Aus der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Polen, Irland und Italien seien Fälle bekannt, in denen ca. 70 aller Gynäkolog_innen und 40 Prozent aller Anästhesist_innen die Teilnahme an einer Abtreibung ablehnten. Der Bericht des Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter wurde Ende Oktober 2013 von der sozialdemokratischen EU-Parlamentarierin Edite Estrela dem europäischen Parlament vorgestellt. Der Bericht wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt, was im EU-Betrieb äußerst selten vorkommt. Dies ist ein Hinweis auf die sehr gute Lobbyarbeit radikaler Abtreibungsgegner_ innen. Diese hatten in den Wochen vor der Wahl eine Mailkampagne inszeniert, bei der Abgeordnete, die ihre Zustimmung zu dem Bericht signalisiert hatten, tausende Protestmails erhielten. Behauptet wurde, der Bericht wolle die EU dazu bringen „Abtreibung und Homosexualität zu sponsern“, sowie „Zwangsfrühsexualisierung“ bzw. „Tabufreien interaktiven Sex-Unterricht“ zu fördern. Die EU-Parlamentsangehörige für Die Linke, Cornelia Ernst bezeichnete die Vorgänge als „europäische Tea Party“. Hinter den Mobilisierungen stehen die Europäische Bürgerinitiative Einer von uns und die Zivile Koalition, die der Alternative für Deutschland (AfD) nahesteht.

Einer von uns

Das europäische Bürgerbegehren One of us, das in Deutschland und Österreich unter der Bezeichnung Einer von uns firmiert, hat es geschafft, die für ein Bürgerbegehren benötigte Unterschriftenzahl beinahe zu verdoppeln. Mehr als 1,7 Millionen Menschen haben den Appell unterzeichnet, der von den EU-Institutionen fordert, „die Würde des menschlichen Embryos zu achten und seine Unversehrtheit sicherzustellen.“ Dazu sollen diese die „Finanzierung aller Aktivitäten (insbesondere in den Bereichen Forschung, Entwicklungspolitik und öffentliche Gesundheit), die die Zerstörung menschlicher Embryonen voraussetzen, unterbinden“. Konkret richtet sich diese Petition gegen Stammzellenforschung und Abtreibungen. Die Initiator_innen sind europaweit vernetzte radikale „Lebensschützer“, in Deutschland mobilisierten der Bundesverband Lebensrecht (BVL) und die Christdemokraten für das Leben (CDL) in der CDU. Als „Botschafter“ der Kampagne fungierten unter anderem Papst Franziskus, Lukas Kenner, Professor an der Medizinischen Universität Wien und Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz. Am 10. April fand die erste Anhörung im EU-Parlament zum Bürgerbegehren statt. Wie auch schon die parlamentarische Debatte über den Estrela-Bericht verlief die Diskussion turbulent. Keine Spur von Politikverdrossenheit: Nicht alle Zuhörer_innen, die der Debatte folgen wollten, fanden einen Platz. Auf One of us muss die EU-Kommission bis zum 28. Mai, drei Tage nach den Wahlen zum EU-Parlament, reagieren. Die Entscheidung, ob das Kollegium der 28 Kommissare den Forderungen der Bürgerinitiative folgt, wird im Konsens getroffen. Um Druck auf die EU-Kommission auszuüben, hatten die „Lebensschützer“ daher zu einer „Werte-Wahl“ am 25. Mai auf gerufen.


Kirsten Achtelik ist Politologin, Soziologin und arbeitet als freie Journalistin. Sie lebt in Berlin und ist aktiv für sexuelle und reproduktive Rechte, gegen Abtreibungsgegner_innen und selektive Pränataldiagnostik.