Selbständig – unselbständig – erwerbslos. Diese Schlagwörter im Dreierpack sind fordernde Lebensrealität für viele Kunst- und Kulturschaffende und andere prekär Tätige. Natalie József (Name geändert) weiß ein Lied davon zu singen. Sie ist Kuratorin und Kulturarbeiterin, seit letztem Sommer arbeitslos und neben der Arbeitssuche gelegentlich mit selbständigen Jobs in der Szene aktiv. Das AMS weiß darüber Bescheid, József musste seither jeden Monat Umsatz und Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit melden. Danach beurteilt das AMS, ob es für den vergangenen Monat Geld gibt oder nicht. Davon hängt auch ab, ob weiter eine Krankenversicherung besteht.
AMS-Mathematik. Bleibt die Schlüsselfrage, wie das AMS nun rechnet. Grundsätzlich ist neben dem Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe ein Zuverdienst bis zur Geringfügigkeitsgrenze möglich. Genaugenommen sogar zweimal, einmal aus selbständiger und ein weiteres Mal als unselbständiger Tätigkeit. Aber wie können selbständige Einkünfte im laufenden Kalenderjahr überhaupt monatlich betrachtet werden? Das AMS hat drei verschiedene Berechnungsarten. Welche kommt zur Anwendung? Kommt darauf an, z.B. ob es sich um durchgehende oder vorübergehende selbständige Tätigkeit handelt, dann gibt es noch Detailunterschiede bei befristeten Tätigkeiten unter oder ab 28 Tagen. Pech kann haben, wer gleich zu Jahresbeginn einen größeren Betrag verdient. Die Folge könnte sein, dass es dann monatelang kein AMS-Geld gibt, wenn das AMS umrechnet, wie vielen monatlichen geringfügigen Einkünften dieser Zuverdienst entspricht und für ebendiese Zahl an Monaten nicht zahlt. Umgekehrt ein Vorteil bei größeren Honoraren oder Verkäufen zum Jahresende: 5.000 Euro auf einen Schlag? Das ganze Jahr zuvor nichts? Bestenfalls wird vom AMS-Geld kein Cent abgezogen. Das ist die sogenannte rollierende Berechnung bei durchgehender Selbstständigkeit. Anders sieht es aus bei vorübergehender Selbständigkeit (mit klaren Nachweisen über den Tätigkeitszeitraum), dann betrachtet das AMS jeden Monat isoliert – mit durchaus komplizierteren Berechnungsformeln.
AMS-Desaster. Zurück zu Natalie József: Seit Jänner ohne AMS-Geld, Mitte Februar war dann auch der Krankenversicherungsschutz weg. Warum? Auf der Suche nach einer Antwort und Lösung hat József einen Spießrutenlauf durchs AMS mitgemacht, Rechtsgrundlagen studiert und Unterstützung organisiert. Mitte Mai stellt eine AMS-Mitarbeiterin schließlich fest: „Das haben alle von Anfang an falsch gemacht“. Dazwischen liegt der Kampf einer Kulturarbeiterin um ihre Rechte, überhaupt um Information, ums Gehörtwerden.
AMS und selbständige Tätigkeit. Wie läuft das so? Natalie József: Seit Juli 2016 bin ich arbeitslos und im Herbst habe ich begonnen, auch Aufträge als Selbständige anzunehmen. Von da an musste ich monatlich Bruttoerklärungen abgeben. Und mir wurde gesagt, dass mein selbständiges Einkommen die Jahresgeringfügigkeitsgrenze nicht überschreiten darf. Aber ich habe keine Information erhalten, wie das AMS meinen Anspruch überhaupt berechnet, wenn ich Zuverdienste habe.
… und dann die ersten Probleme? Allerdings. Im Jänner habe ich für eine dramaturgische Beratung 1300 Euro bekommen. Im Februar und nochmals bis Anfang März folgten zwei weitere Aufträge. Insgesamt waren das 3.700 Euro an Einnahmen. Das ist immer noch unter der jährlichen Geringfügigkeitsgrenze. Für März und April ist noch ein Honorar von 150 Euro dazugekommen, damit lag ich auch schon unter der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze. Mitte Februar hat das AMS mitgeteilt, dass ich für Jänner keinen Leistungsanspruch habe. Damit habe ich gerechnet. Aber ich habe erwartet, dass ich ab März wieder einen Anspruch habe. Ich bekam aber weiterhin kein Geld, seit Februar auch keine Bescheide mehr.
Wie hast du reagiert als du im März noch immer kein Geld bekommen hast? Wie hat das AMS die Situation erklärt?
Anfang April habe ich schließlich angerufen. In der Zwischenzeit hatte ich mich in der IG Bildende Kunst beraten lassen. Was ich zuvor überhaupt nicht wusste: für selbständige Tätigkeiten und Einkünfte gibt es am AMS verschiedene Einstufungen und Berechnungsarten. Wahrscheinlich hat mich das AMS als durchgehend selbständig eingestuft. Also wollte ich mit dem AMS klären: Warum? Aber darauf konnte die AMS-Servicezone nicht antworten, sie haben mir nur einen neuen Termin gegeben. Schließlich war ich innerhalb weniger Wochen sechs Mal beim AMS, wurde aber immer nur aufgefordert, weitere Dokumente vorzulegen. Und ich musste mir sagen lassen, dass man mit mir nicht die österreichischen Gesetze diskutieren werde. Einmal haben sie mir gesagt, dass in meinem Fall die rollierende Berechnung für durchgehende Selbständigkeit gilt und ich daher neun Monate keine Notstandshilfe erhalten werde.
Neun Monate kein AMS-Geld!? Ja, es hieß, dass ich solange kein AMS-Geld erhalte bis so viele Monate vergangen sind, dass sich meine Einkünfte auf jeweils unter der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze aufteilen lassen. Das heißt, dass ich von 425 Euro im Monat leben soll! Und auch nicht versichert bin. Abgesehen davon bin ich gar nicht durchgehend selbständig tätig, alle meine Aufträge sind zeitlich klar begrenzt. Und für diesen Fall ist eine komplett andere Berechnung vorgesehen.
Wie hast du das AMS mit dieser Fehleinschätzung konfrontiert? Als ich angefangen habe, konkrete Fragen zu stellen, kamen zwei Rückmeldungen: Erstmal wurde mir gesagt, ich hätte mich besser informieren sollen. Und dann, als ich Fragen gestellt habe, habe ich nie eine konkrete Antwort vom AMS erhalten. Die einen haben sich nicht zuständig erklärt, die anderen haben gesagt, diese Informationen können sie mir nicht geben.
Du hast begonnen, dich zu wehren. Wie? Ich habe versucht, mich vorab so genau wie möglich zu informieren. Wichtig finde ich, immer wieder nachzufragen, wenn etwas unklar ist. Also Ausdauer zeigen und nicht loslassen, sich auch sprachlich nicht einschüchtern lassen. Allerdings haben meine konkreten Fragen oftmals eine ziemlich aggressive Haltung bei den AMS-Mitarbeiter_innen ausgelöst. Bei den letzten drei Terminen habe ich eine Vertrauensperson mitgenommen, sie hat sich nicht eingemischt, aber sichtbar protokolliert. Die AMS-Mitarbeiter_innen waren irritiert, haben sich aber mehr Mühe gegeben. Das kann für alle eine gute Unterstützung sein. Aber für mich war es eine besonders gute Unterstützung, dass jemand dabei war, die muttersprachlich ist.
Noch andere Tipps, die du geben kannst? Unbedingt die Infobroschüre Selbständig – Unselbständig – Erwerbslos des Kulturrats lesen, gründlich anschauen, welche Einstufungen selbständiger Tätigkeit es gibt und was das zur Folge hat. Schon im Vorhinein mit einer Steuerberaterin klären, welche Betriebsausgaben abrechenbar sind. Wenn nach der Einreichung der Bruttoerklärung kein Bescheid kommt, gleich nachfragen. Und sich austauschen, mit AMS-Erfahrungen offensiv umgehen.
Wie sind deine AMS-Troubles schließlich gut ausgegangen?
Mitte Mai hat eine AMS-Mitarbeiterin den Fehler erkannt. Auch sie wollte nicht zuhören, hat mich kaum aussprechen lassen. Aber letztlich war klar, dass es sich bei mir immer um vorübergehende selbständige Tätigkeiten handelt und ich daher in Monaten mit wenig oder keinem Zuverdienst einen Leistungsanspruch habe. Schließlich hat sie mit ihrer Vorgesetzten gesprochen und dann angekündigt, dass alles neu beurteilt wird. Ein paar Tage später kam der schriftliche Bescheid. Ich werde rückwirkend ab März wieder Notstandshilfe erhalten.
Was muss anders werden? Was würde helfen? Das AMS sollte statt einer Seite Infoblatt, das kaum Infos beinhaltet, diese Kulturrat- Infobroschüre oder Ähnliches verteilen. Dann könnten die Leute gut informiert Entscheidungen über ihren Nebenverdienst und über eine eventuelle selbständige Tätigkeit treffen. Es sollte ein Recht geben, ausreichend informiert zu werden. Auch in der Erstsprache, angesichts dieser Komplexität. Stattdessen wird sprachliche Unterdrückung ausgeübt. Subtil, aber konsequent. Außerdem finde ich problematisch, wenn meine Beraterin beiläufig sagt, ich hätte ja auch noch nicht so viel eingezahlt … Ich möchte einfach die Leistungen bekommen, die mir zustehen.
Kulturrat Österreich: Selbstständig – Unselbstständig – Erwerbslos, Infobroschüre für Künstler_innen und andere prekär Tätige
- Selbstständig? Nicht zuständig! Prekäre Kunst- und Kulturarbeit: eine Odyssee durchs AMS (Augustin #438, Juni 2017)
- Episode: ArbeitsmarktSERVICEbesuch (veronikamerklein.com, Blog, 29.8.2017)
- Kulturrat Österreich: Selbstständig – Unselbstständig – Erwerbslos. Infobroschüre für KünstlerInnen und andere prekär Tätige.