Programm Kunst und Kind von Visarte Schweiz

Seit 2017 beschäftigt sich der Berufsverband der bildenden Künstler:innen in der Schweiz, Visarte, mit dem Thema Kunst und Kind, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Da die Datenlage dünn war, führte er im Herbst 2017 eine Umfrage unter seinen Mitgliedern durch, die eine unbefriedigende berufliche Situation für Kunstschaffende mit Kindern offenbarte. Rund die Hälfte der Teilnehmenden berichtete, sie bewerbe sich wegen ungelöster Betreuungs- und Finanzierungsfragen nicht mehr auf Atelier- und Förderstipendien. Umgekehrt gaben andere Kunstschaffende an, sie verzichteten auf die Gründung einer Familie.

In einer weiteren Umfrage bei Schweizer Förderstellen in den Jahren 2019 bis 2021 wurden deren Einschätzung und angebotene Programme in Erfahrung gebracht. Die Analyse der Erhebung war ernüchternd: Lediglich zehn Prozent der Förderstellen modernisierten aufgrund der Visarte-Umfrage ihr Programm. Weitere zehn Prozent waren an neuen Formaten interessiert, scheiterten aber in der Umsetzung. 80 Prozent zeigten eine ablehnende bis verweigernde Haltung.

Im Juni 2022 organisierte Visarte ein Hearing mit an Familienfragen interessierten Vertreter:innen aus der Kulturförderung und Kunstschaffenden, um die Ergebnisse der Umfrage zu vertiefen. Es zeigte sich, dass ein Wandel in den Gremien der Förderstellen – von uninteressiert oder ablehnend hin zu zukunftsorientiert – dringend nötig ist. Bislang herrscht im Fördersystem ein größtenteils über holtes Künstler:innenbild: Single, mobil, umtriebig und flexibel; doch sind Lebensmodelle im Fluss.

Noch immer stellt die Altersgrenze von Künstler:innen eine Hürde dar, wenn sie nach einer Reduktion des Arbeitspensums aus familiären Gründen wieder verstärkt in das Kunstschaffen einsteigen. Zwar wurde dies von progressiveren Förderer:innen behoben, aber eine versteckte Altersgrenze bleibt: der Fokus von Juries liegt auf einem jungen Kunstschaffen. Professionalität ist quantitativ leistungsorientiert und wird an einer hohen Kadenz des Outputs festgemacht, Lücken im CV werden kritisch beurteilt.

Bei der Bewerbung für Atelierstipendien hat sich eine Familie für Künstler:innen in der bisherigen Vergabepraxis als nachteilig erwiesen und wird in der Folge oft verheimlicht. Familientauglich werden Residenzen aber nicht nur durch geeignete Räumlichkeiten, sondern auch durch Unterstützung und Beratung am Gastort. Für den finanziellen Mehraufwand wird zurzeit die Idee eines Spezialfonds für entsprechende Stipendien diskutiert. Diversifizierte Extraformate für Familien sollen geschaffen und bestehende zugänglicher gemacht werden. Das Lebensmodell Kunst und Kind muss sich als selbstverständlich etablieren.

2019 hat Visarte Schweiz ein eigenes Atelierstipendium Kunst und Kind lanciert, das Künstler:innen mit ihren Kindern einen Aufenthalt von fünf Wochen in einem Haus mit großem Garten im Tessin ermöglicht. Das Angebot wurde gut aufgenommen mit teilweise über 30 Bewerbungen für ein Stipendium.


Renata Cristellon ist Kulturmanagerin und bei Visarte Schweiz für Projekte zuständig. Sie lebt in Zürich. Regine Helbling ist Geschäftsführerin von Visarte Schweiz. Sie lebt ebenfalls in Zürich.