Die Antworten von 230 bildenden Künstler_innen sprechen eine klare Sprache: Fast 1.300 Projekte und rund 1.140.000 Euro an Einnahmenausfällen hat der Lockdown im ersten Corona-Krisen-Monat gekostet. Von einem „Totalausfall“ ist vielfach die Rede. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen statt Krisenfonds wird laut. Mieterlass wird als relevante Unterstützung am zweithäufigsten genannt. Die IG Bildende Kunst hat – gemeinsam mit weiteren Interessenvertretungen im Kunst- und Kulturbereich – eine Online-Befragung durchgeführt, um ein Bild von den Einnahmenausfällen von Kunst- und Kulturschaffenden aufgrund der Covid-19-Krise sowie zum Bedarf an gezielten Unterstützungsmaßnahmen zu gewinnen. Aus den Umfrageergebnissen resultieren sechs Forderungen der IG Bildende Kunst.
Die Umfrage fand vom 19.3. bis 12.4.2020 statt. 230 Personen aus dem Bereich der bildenden Kunst haben teilgenommen: 89% davon Einzelkünstler_innen, 8% selbständige Kulturarbeiter_innen (u.a. Ausstellungsmacher_innen, Kunstvermittler_innen), einzelne im Galeriebereich Tätige sowie einige Ausstellungs- und Vermittlungskollektive und -vereine. Die Befragung ist nicht repräsentativ, aber erlaubt Einblicke in die gravierenden Auswirkungen der Corona-Krise ab Beginn sowie einen Blick auf die kommenden Monate und auch auf langfristige Folgen. In Kommentarfeldern konnten die Teilnehmer_innen individuelle Anmerkungen hinterlassen.
Absagen, Verschiebungen, Neukonzeption
Im ersten Monat betrafen die Covid-19-Maßnahmen fast 1.300 Projekte der befragten Künstler_innen. 54% davon wurden abgesagt, für 34% soll ein späterer Ersatztermin gefunden werden. 12% werden auf ein anderes Format hin neu konzipiert (z.B. Online-Präsentationen). Bei den Projekten handelt es sich um Ausstellungen, Aufträge zur Erstellung von Werken, geplante Verkäufe, Galeriepräsentationen, Festival- oder Messeteilnahmen, Vermittlungsformate, Performances, Diskussionsveranstaltungen, Filmscreenings u.a. Die auch mittelfristig unklare Perspektive macht die Situation zusätzlich prekär: „Werden Veranstaltungen verschoben oder doch abgesagt? Wird für verschobene Veranstaltungen Ende 2020 weniger Geld zur Verfügung stellen? Werden Käufer_innen trotzdem kaufen oder sparen?“
Einnahmenausfälle jetzt. Und später?
Im ersten Monat der Covid-19-Maßnahmen beziffern die Teilnehmer_innen ihre Ausfälle auf rund 1.140.000 Euro. Es geht dabei um verlorene Einnahmen (im Unterschied zum Gewinn), diese umfassen auch Projektmittel, die etwa für Materialen, Ausstattung, Raummieten oder Honorare für weitere Beteiligte vorgesehen waren – und zum Teil ungeachtet der Absagen anfallen oder bereits angefallen sind. Dabei ist erst der Anfang einer länger anhaltenden Einkommensflaute zu befürchten, schließlich führen die umfassenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 auch zu „fehlenden Möglichkeiten, mit dem Werk präsent zu sein – fehlende Vernetzung und Verkaufsanbahnung“ – mit Folgen, die weit länger andauern als die aktuellen Maßnahmen: „Ich kann derzeit nicht reisen, keine Projekte anbahnen. Das betrifft auch Projekte für 2021 und darüber hinaus.“
Sollten die Schließungen bis zum Sommer anhalten, rechnen die befragten Künstler_innen mit weiteren Einnahmenausfällen in der Höhe von rund 1.185.000 Euro – und das betrifft nur die bereits angebahnten Projekte. Ein_e andere_r Künstler_in kommentiert die Situation mit folgender Formel: „Keine Ausstellung = kein Kontakt zu Sammler_innen und potenziellen Käufer_innen = keine Möglichkeit Arbeiten zu verkaufen für …? Monate!“ Erschwerend kommt hinzu, dass „der Frühsommer immer eine besonders projektintensive Zeit ist“, wie bildende Künstler_innen wiederholt betonen. „Wenn es bis zum Sommer dauert, kann ich das Jahr 2020 abschreiben. Einfach unbeschreiblich im Moment. Und wer wird Miete, Ateliermiete und andere Fixkosten bezahlen?“
„Bedingungsloses Grundeinkommen statt Krisenfonds!“
Zu Beginn der Befragung gab es weder den Covid-19-Fonds im Künstler_innen-Sozialversicherungsfonds (KSVF) noch den von der Wirtschaftskammer verwalteten Härtefall-Fonds. Erste Anlaufstellen waren vielmehr die Verwertungsgesellschaften und der seit 2015 eingerichtete Unterstützungsfonds im KSVF für Notfälle von Künstler_innen. 57% der teilnehmenden Künstler_innen gaben an, beim KSVF um Unterstützung ansuchen zu wollen, 38% bei einem der SKE-Fonds der Verwertungsgesellschaften. Nur einzelne Umfrage-Teilnehmer_innen hatten vor, beim Ende März gestarteten Härtefall-Fonds um Soforthilfe anzusuchen. Eine vielfach in Kommentaren eingebrachte Forderung ist die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen angesichts der gesellschaftlichen Krise durch die Corona-Pandemie: „Jetzt wäre der Zeitpunkt für das bedingungslose Grundeinkommen.“
Teilnehmende kritisieren schon zu einem frühen Zeitpunkt Zugangshürden bei den Krisenfonds: Sie sehen die speziellen Arbeitssituationen von Künstler_innen sowie allgemein von Neuen Selbständigen, Kleinstunternehmer_innen sowie Arbeitskollektiven und Vereinen nicht ausreichend berücksichtigt und kritisieren bürokratische Hürden. Auch in diesem Zusammenhang wird für eine grundsätzlichere Lösung plädiert: „Bedingungsloses Grundeinkommen statt Krisenfonds! Künstler_innen sind regelmäßig in finanziellen Krisen, weil es keinen ‚normalen‘, nicht mal Mindestlohn für die geleistete Arbeit gibt. Change!“
Mieten erlassen!
An zweiter Stelle nach den direkten Geldleistungen steht der Wunsch nach Erlass der Miete für Räumlichkeiten (28%), also von Ateliers. Im Unterschied zur Rechtslage bei Gewerberäumen, die von expliziten Vertretungsverboten betroffen sind (etwa Gastronomiebetriebe) sind Künstler_innen beim Ansuchen um Mieterlass für das Atelier aufgrund der Covid-19-Maßnahmen auf das Entgegenkommen der Vermieter_innen angewiesen. Die IG Bildende Kunst hat bereits Appelle an Wiener Wohnen und WISEG als relevante Ateliervermieter_innen gerichtet, die Mieten zu erlassen – erfolglos bislang.
Wie sieht es aus mit Zahlungsaufschub? 27% würde bzw. wird die Herabsetzung oder Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen entlasten, 19% die Herabsetzung oder Stundung von Einkommensteuervorauszahlungen. Lediglich 7% können sich vorstellen, von Kredithaftungen für Überbrückungsfinanzierungen (sofern für Neue Selbstständige zugänglich) zu profitieren.
Wege aus der Krise. Perspektiven
„Die Situation für Künstler_innen ist immer äußerst prekär, nicht erst durch Corona, deshalb muss eine drastische Verbesserung für Künstler_innen getroffen werden, z.B. ein Grundeinkommen!“ Studien zur sozialen und ökonomischen Lage von Künster_innen zeigen seit den 1990er Jahren ein verheerendes Bild: hohe Armutsgefährdung, sinkende Realeinkünfte, hochprofessionelle Erwerbsarbeit. Laut jüngster Studie zur sozialen Lage von Künstler_innen in Österreich (2018) lagen die mittleren Jahreseinkünfte von bildenden Künstler_innen gerade einmal bei 11.000 Euro. Interessenvertretungen quer durch alle Sparten treten seit Jahren für faire und gute Bezahlung künstlerischer und kultureller Arbeit ein. Hierfür braucht es verbindliche Mindeststandards bei Honoraren – auch als Fördervoraussetzung. Die (vorübergehende) Aufgabe der künstlerischen Tätigkeit darf nicht zur ökonomischen Exitstrategie werden: „Kein Ausfall. Ich kann es mir zurzeit sowieso nicht leisten, als Künstlerin zu arbeiten, da ich alleinerziehend bin und mich daher einem vernünftig bezahlten Brotberuf widmen muss.“ In diesem Sinne gilt einmal mehr die Devise der IG Bildende Kunst: pay the artist now!
Forderungen der IG Bildende Kunst
■ Bedingungsloses Grundeinkommen für alle! Existenzsichernd und universell.
■ Zumindest jedoch: Unbürokratische, auch langfristige Unterstützungsmöglichkeiten über die ersten Monate der Krise hinaus – für Kunstschaffende, Kulturarbeiter_innen sowie für Vereine (NPOs). Künstler_innen, Kulturarbeiter_innen und Kunst- und Kulturvereine hat die Corona-Krise mit den Veranstaltungseinschränkungen als Erste betroffen. Die Einschränkungen des Kulturbetriebs werden voraussichtlich spät gelockert, die existenzbedrohende Situation für zumeist ohnehin sehr prekär Lebende wird lange anhalten und lange nachwirken.
■ Finanzielle Unterstützung unter Berücksichtigung der komplexen Erwerbssituationen von Künstler_innen: Anrechnung steuerbefreiter Förderungen, Stipendien, Preise als Berechnungsgrundlage aus Vorjahren; Berücksichtigung schwankender Einkommenssituationen (Durchrechnungszeitraum zur Ermittlung der Ausfälle); Nebentätigkeiten sowie AMS-Leistungen dürfen keine Ausschlusskriterien für Unterstützungsleistungen sein. Ein Wohnsitz oder Bankkonto außerhalb Österreichs dürfen keine Ausschlusskriterien sein, wenn der Arbeitsmittelpunkt in Österreich liegt.
■ Aufstockung öffentlicher Fördermittel für Arbeitsstipendien, um die Weiterführung künstlerischer Arbeit zu sichern.
■ Gezielte Förderung von kunstschaffenden Eltern, die – erst recht als Alleinerziehende – aufgrund der Mehrfachbelastung während der Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen in der Ausübung ihres Berufes besonders eingeschränkt sind – z.B. durch Arbeitsstipendium sobald die Betreuungssituation dies wieder zulässt.
■ Erhöhung der Ankaufsbudgets für Werke der bildenden Kunst, um jene Künstler_innen gleichermaßen anzusprechen, die – z.B. aufgrund von Betreuungspflichten – auch im Rahmen von Arbeitsstipendien aktuell gar keine realistische Möglichkeit haben, neue Projekte zu entwickeln