Welche bessere Möglichkeit gäbe es, alle revolutionären, radikalen oder aufständischen Reste, die sich noch im Punk befinden könnten, zu zerstören, als eine Ausstellung dazu zu organisieren? Gibt es eine noch verräterischere Art und Weise, dem störenden Potenzial von Punk zu begegnen als zu versuchen, ihn zu kategorisieren und in Apparate, Schemata und Referenzen zu zerlegen? Wie könnte man sich einer größeren Diskrepanz zu ExegetInnen, HagiografInnen, ChronistInnen, ZeitzeugInnen und LiebhaberInnen von Punk versichern als dadurch, eine Liste von Orten aufzustellen, in denen er präsent ist? Ihn zu musealisieren heißt ihn zu zerstückeln und wahrscheinlich auch, ihn für tot zu erklären. Oder es ist die treuste Art des Umgangs. So wie Salvador Dalí sich geopfert hat, um den Surrealismus zu retten. Und so, quasi ohne es zu wollen und ohne überhaupt richtig angefangen zu haben von Punk zu reden, erscheint die dreiste Erinnerung an den Surrealismus, und, ganz nah an ihm dran, tauchen die Spuren einer Haltung wieder auf, die von der Unbehaglichkeit des Dada herrührt, zitiert durch den aufständischen Geist des Situationismus, und die im Punk zum Ausdruck kommt.
Und dennoch ist Punk. Seine Spuren in der zeitgenössischen Kunst (Punk. Sus rastros en el arte contemporáneo, 13. 5. – 25. 9. 2016, MACBA) keine Ausstellung über Punk. Titel und Untertitel sind beschreibend gemeint: Anders als in einer historischen Ausstellung besteht der Vorschlag des Projektes darin zu lokalisieren, wie Punk in der zeitgenössischen Kunst, bei vielen KünstlerInnen und in Kunstwerken, eine Spur hinterlassen hat. Es handelt sich darum, eine Intuition zu bekräftigen: dass jenseits aller zwischen KünstlerInnen und Tendenzen vorgenommenen Unterteilungen der zeitgenössischen Kunstgeschichte, dass jenseits von Videokunst oder neoexpressionistischer Malerei, dass jenseits von Körper und Performance, jenseits von Klanginstallation oder dem Sog der konzeptuellen Kunst ein geheimer Krach, ein Geräusch oder besser noch ein lärmender und wütender Klang existiert, der vielen zeitgenössischen Kunstschaffenden gemeinsam ist. Als wenn sie alle am gleichen Ort gewesen wären: Mit Greil Marcus am 14. Januar 1978 auf dem letzten, desaströsen Konzert der Sex Pistols im Winterland Theater in San Francisco, oder am 4. Juli 1976 in The Black Swan in Sheffield, als The Clash als Vorband der Pistols auftraten, oder ein Jahr später, als die späteren Mitglieder der ersten all female-Band The Slits in Harlesden als Vorband von The Clash spielten; als wenn sie im Sommer 1976 die New York Dolls, die Ramones oder Television im CBGB in der New Yorker Bowery gesehen hätten; […]
Es handelt sich um die Genealogie, die Greil Marcus (in Lipstick Traces: Von Dada bis Punk – kulturelle Avantgarden und ihre Wege aus dem 20. Jahrhundert) intuitiv wieder ausgegraben hat und in der Punk die Spitze des Eisbergs ist, der letzte organisierte und erkennbare Moment, in dem das dunkle Erbe des 20. Jahrhunderts, das in Dada aufgestiegen und durch den Situationismus hindurchgegangen war, wütend auftauchte wie eine Explosion oder ein Flächenbrand. Auf diesen Flächenbrand bezieht sich Servando Rocha explizit in Historia de un incendio. Arte y revolución en los tiempos salvajes: de la Comuna de París al advenimiento del punk (Geschichte eines Flächenbrandes. Kunst und Revolution in wilden Zeiten: von der Pariser Kommune bis zum Aufkommen von Punk), in dem er diese Momente von der Pariser Kommune bis zu Punk und Post-Punk nachzeichnet und ebenfalls am Situationismus, Dada und anderen lauten, ungemütlichen, hässlichen und unglücklichen Gesellschaften entlangstreift …
Es ist die Geschichte, die die Unglücklichen und Verzweifelten, die Unbequemen und NonkonformistInnen und diejenigen vereint, die der etablierten Ordnung widerstehen und gegen sie rebellieren, von welcher Seite aus auch immer: Punk ist der Spitzname, mit dem Dirty Harry einen armen Straffälligen demütigt, Punk ist eine Prostituierte, Punk ist ein menschliches Wrack, Punk ist ein Stück Scheiße, Punk ist Abfall, Punk ist weniger als Junk, ein Paria, der hin und wieder auftaucht und dieses lästige Geräusch hinausbrüllt und eine/n ergreift wie ein Mündungsfeuer. […]
Der Ort, an dem Punk in der zeitgenössischen Kunst am offensichtlichsten zum Ausdruck kommt, ist die Oberfläche. Punk taucht als Anlehnung oder Referenz auf: als ausgeschnittene Typographie, die Juan Pérez Agirregoikoa in seinen Bildern auf Bettlaken benutzt und die auf diese Weise behaupten, mit Negation und mit Punk-Imaginarien zu tun zu haben; in Form der Behauptung „No Future“ als Leuchtreklame auf dem Auto von Jordi Colomer; in dem Song „Kolpez Kolpe“ der baskischen Punk-Band Kortatu, gesungen von einer Gruppe von TaiwanesInnen im Video von Iñaki Garmendia; […] Die Frage der Oberfläche ist im Punk keine unwichtige. Man darf nicht vergessen, dass einer der beiden Orte, an denen Punk entstand und von denen aus er sich mit der Londoner Szene verband, der Klamotten-Laden von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood war. Aber mehr noch, Punk ist von dem Bewusstsein durchzogen, dass die Oberfläche ein Kampfplatz ist. Zu allererst, das Erscheinungsbild: das Zurückweisen eines standardisierten Aussehens impliziert eine widerständige Position gegenüber den sozialen Konventionen (daher die Versicherung Johnny Rottens, niemals Jeans zu tragen). Das Aussehen bedeutete aber auch das Einfordern und Unter-Beweis-Stellen eines eigenen Ortes in der Welt, eines durch Differenz hergestellten Raums, in dem die sexuelle Frage erstrangig ist. Weil Kleidung, die physische Erscheinung, bewertet: deshalb handelt Punk von der Suche nach sexuell undefinierten Orten, was nicht bedeutet, dass die Sexualität verschwindet – im Gegenteil, sie ist zutiefst betont, aber eben weder eindeutig noch zweigeteilt. Wenn man von der Oberfläche spricht, ist es unabwendbar, dass Andy Warhol als Bezugspunkt auftaucht („Wenn du alles über Andy Warhol wissen willst, schaue auf die Oberfläche [der Bilder]: Da bin ich. Es gibt nichts dahinter.“), verknüpft mit Gilles Deleuze und seinem Insistieren darauf, die Dichotomie zwischen Oberfläche und Tiefe/ Wesen aufzulösen: die Tiefe ist auf der Oberfläche, auf der Haut. Diese laute und ungemütliche Oberfläche des Punk beinhaltet eine politische Berücksichtigung des Körpers: Die Forderung nach Differenz meint immer einen Kampf gegen das Etablierte und impliziert die Forderung der sexuellen Differenz, oder besser der Aufhebung der sexuellen Differenz zugunsten der Umsetzung von Diversität. Die Oberfläche ist nicht oberflächlich, sondern bedeutet im Punk, vor dem Hintergrund der philosophischen Tradition, eine Position einzunehmen. Auch ihre Reaktualisierung in zeitgenössischen künstlerischen Praktiken bedeutet eine Reaktualisierung dieser Haltung. […]
David G. Torres ist Kurator und Kunstkritiker und lebt in Barcelona.
Dieser Text ist ein kleiner Ausschnitt aus dem Katalogbeitrag zur Ausstellung Punk. Sus rastros en el arte contemporáneo, MACBA (Barcelona, 13. 5. – 25. 9. 2016). Gekürzt und übersetzt aus dem Spanischen von Jens Kastner.