Schwarze Trauer, radikale Politik

1939 performte die Jazzsängerin Billie Holiday in New York erstmals ihren weltweit bekannten Song Strange Fruit. Der Text kreist um die grausame Praxis der Lynchmorde an Schwarzen in den Südstaaten zu dieser Zeit. Tempo und Stimme sind von der Trauer, die das Thema in der Black Community in dieser Zeit auslöste, gezeichnet. Das Lied ist kein Kampflied, es zeigte aber die Wehrlosigkeit gegenüber rassistischen Mobs und Morden, denen die Schwarze Bevölkerung in den USA zu dieser Zeit ausgesetzt war. Gleichzeitig machte öffentliche Trauer wie in diesem Lied erst die Bürgerrechtsbewegung möglich. Die Schwarzen wurden zu Toten, die zählten.

Der Sound der Afrokultur oder einfacher gesagt, der Sound in Schwarzer Politik und Kultur war oft weitaus kämpferischer und hoffnungsvoller als bei Holiday. Vor allem ab den 1960ern entwickelten sich radikale Formen in Politik und Kultur, die nicht nur die Trauer, sondern auch den Kampf kannten. Ausgehend von den USA mit ihren militanten Gruppen wie der

Black Panther Party, aber auch in Großbritannien und der ­Karibik, zeigten sich immer mehr Schwarze Communities kämpferisch gegenüber rassistischer Gewalt. Die Black Panther Party wandelte Angst und Trauer in Militanz, war ihr militärischer Look doch eine Warnung an einen rassistischen Polizeiapparat und rechte Bürgerwehren. Um das Jahr 1968 wurde weltweit nicht nur an den Universitäten und mancherorts in den Betrieben gestreikt, sondern auch in den Vierteln der Schwarzen Communities demonstriert. Das Protestjahr sorgte für einen militanten und linken Antirassismus.

Frank B. Wilderson III hat nun eine Mischung aus Biografie und politischer Theorie vorgelegt. Der Titel seiner Abhandlung ist Afropessimismus. Der Dramatiker und Theoretiker war selbst an vielen Kämpfen der radikalen Schwarzen Bewegung beteiligt und stimmt einen Abgesang auf die Möglichkeiten seiner eigenen Bewegung an. Er engagierte sich in den 1970ern in den Resten der Schwarzen Bewegung der USA und ging Anfang der 1990er nach Südafrika, um dort in Mandelas ­African National Congress die Apartheid zu bekämpfen. Der ANC war damals noch eine illegale kommunistische Partei, die einen bewaffneten Arm hatte.

Jeder dieser Kämpfe hat für Wilderson aber letztendlich auch gezeigt, dass der Rassismus nicht endgültig besiegt werden kann. Theoretisch erklärt er dies mithilfe der Psychologie und titelgebend ist der Pessimismus sein Programm. Er adaptiert Frantz Fanons psychologische Studie Schwarz Haut, weiße Masken. Demnach ist die Figur de*r Schwarzen eine Imago. Ein unveränderliches, unterbewusstes Bild. Auf dieses greift das weiße Bewusstsein zu und zeichnet unbewusst die Vorstellung einer Person, die alles Schlechte und Gefährliche auf sich vereinigt. Fanons Ausweg ist eine andere Gesellschaft. Wilderson geht hingegen davon aus, dass es dieses Bild braucht, um ein entmenschlichtes Gegenüber zu konstruieren und ohne dieses bricht die psychische Struktur aller Nicht-Schwarzen zusammen. Die Sklaverei, wie seine US-amerikanische Perspektive auf Rassismus nahelegt, ist nie vollständig abgeschafft worden. Wilderson schafft eine ausweglose Theorie. Der Rassismus kann demnach nicht durch Revolution oder Psychotherapie besiegt werden.

Rechte Morde in den 1990ern brachten den tödlichen Rassismus auch in Deutschland in die öffentliche Diskussion. Die Frage ist nicht, ob Melancholie Teil Schwarzer Politik ist, das ist sie zweifellos. Mit der Black Lives Matter Bewegung konnten Schwarze auch hierzulande Angst und Trauer vor rassistischer Gewalt und Morden politisieren.

Der italienische Historiker Enzo Traverso hat sich in seinem Buch Linke Melancholie mit dem Verhältnis von Trauer und Politik beschäftigt. Er bescheinigt der historischen Linken Melancholie, eine stete Trauer über die verlorenen Kämpfe, denen aber ein Versprechen innewohnt, beim nächsten Kampf nicht mehr zu verlieren. Die Besiegten bleiben im Blick des melancholischen Betrachters bzw. der melancholischen Betrachterin. Wildersons Konzept kennt nur die unpolitische Form der Melancholie als stetem Trauerzustand, aus dem es kein Entkommen gibt. Alle antirassistischen Bewegungen hätten ihr Ziel nicht erreicht und die neuen würden scheitern. In einem Interview mit seinem deutschen Verlag sagte Wilderson: »Er [der Afropessimismus] wird Euch jedoch helfen, die Grenzen Eurer Forderungen und die Struktur Schwarzen Leidens zu verstehen.«

Nur ein Jahr nach Billie Holidays berühmter Performance erscheint 1940 das Buch Sohn dieses Landes von Richard Wright. Der Autor ist Teil einer Schwarzen Riege von Intellektuellen, die sich als links verstehen. Sie bewegen sich im Umfeld der US-amerikanischen Kommunist*innen, aber auch in der Dritten Internationale, die versucht Schwarze Seeleute zu organisieren. Wir finden sie in Großbritannien, wo die Befreiung Afrikas diskutiert und marxistische Zirkel organisiert werden, aber auch in den französischen Kolonien, wo Protagonisten gegen den Kolonialismus anschreiben. Sie wandeln Trauer und Angst vor rassistischer Gewalt in die kämpferische Politik der alten Arbeiter*innenbewegung. In den USA verdrängt Wrights Buch John Steinbecks Früchte des Zorns von den Bestsellerlisten. Die Geschichte erzählt von Bigger Thomas. Der, anstatt sich mit weißen Linken zu verbünden, eine von ihnen ermordet. Nicht nur, dass er zum Mörder wird. Er wird auch zu dem Monster, das die rassistische Gesellschaft schon immer in ihm gesehen hat.

Wrights Roman ist ein schwer zu lesender Text. Dominant sind Trauer, Ekel und Gewalt. Doch versteckt sich in seinem Buch ein politisches Versprechen: Thomas hat die Chance der Allianz mit den antirassistischen Kommunist*innen verpasst und ist persönlich verloren. Bei Wright klingt die Möglichkeit der Befreiung für eine andere Generation an.

 


Johannes Tesfai ist Redakteur bei analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte & Praxis und lebt in Hamburg.