More than human Kosmopolitik

In Europa haben sich öffentliche Proteste gegen die Untätigkeit der Regierungen im Kampf gegen den Klimawandel in den letzten Jahren zugespitzt. Trotz Erfolgen wurde diesen Initiativen jedoch vorgeworfen, dass sie die Klimagerechtigkeitsbewegung „weißwaschen“ und Stimmen rassialisierter Menschen verdrängen, die unverhältnismäßig stark vom Klimawandel und Umwelttoxizität betroffen sind und für die eine Verhaftung durch die Polizei eine ungleich größere Gefahr bedeutet. Kritiker:innen haben auf Ausschlüsse hingewiesen, die entlang der Linien von race und class verlaufen. Aber es gibt auch Ausgrenzungen in Bezug auf Lebensformen jenseits des Menschlichen. Mein Interesse gilt Formen der Sozialität zwischen Menschen und Nichtmenschen und der politischen Handlungsmacht, die durch solche Beziehungen entstehen können.1 (Obwohl die Definition des Begriffs „Mensch“, wie uns posthumanistische, postkoloniale und rassismuskritische Wissenschaftler:innen, sowie der so genannten Menschenrechte beraubte Menschen gelehrt haben, natürlich zur Disposition steht). Wie können uns künstlerische Praktiken dabei helfen, eine mehr-als-menschliche kosmopolitische Welt aufzubauen?

Ich möchte hier zwei künstlerische Projekte vorstellen. Das erste, Landscape as Evidence: Artist as Witness, ist eine inszenierte Anhörung, die am 7. April 2017 im Constitutional Club of India, Neu-Delhi, stattfand. An der Verhandlung nahmen die Theaterregisseurin und Lichtdesignerin Zuleikha Chaudhari und die Khoj International Artists’ Association, Neu-Delhi, als Kläger:innen teil. Sie erhoben Einspruch gegen ein zwischenstaatliches Flussverbindungsprojekt (inklusive einer ganzen Reihe Dämme), das kurz zuvor auf Grundlage des Indian Commissions of Inquiry Act von 1952 genehmigt worden war.2 Die Verhandlung bot den Rechtsanwält:innen Anand Grover und Norma Alvares sowie den Künstler:innen Navjot Altaf, Ravi Agarwal und Sheba Chhachhi ein Forum, darzulegen, warum das Projekt nicht von öffentlichem Interesse ist. Der Vorschlag der britischen Anwältin Polly Higgins, „Ökozid“ (die Zerstörung der natürlichen Umwelt) als internationales Verbrechen anzuerkennen, diente als „Provokation, um über die Überschneidung von Kunst, Recht und Umwelt im Kontext des indischen Subkontinents nachzudenken.“3

Während der gesamten Anhörung wiesen die Kläger:innen auf die mit dem Projekt einhergehende Vertreibung von (insbesondere indigenen) Gemeinschaften sowie auf die Beeinträchtigung von Lebensgrundlagen hin. Wie ein roter Faden zog sich eine Diskussion über Vorteile und Gefahren der Entwicklung durch die gesamte Verhandlung, abhängig davon, wessen Interpretation und welche Vorstellung von „Wert“ zugrunde gelegt wurde. Wichtig für den Kontext des Mehr-als-Menschlichen ist, dass sich die Zeugenaussagen auch auf gesetzliche Rechte der Natur beriefen und das Zusammenleben Indigener mit der Natur beschrieben, sowie auf die Zerstörung des Lebensraums nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere (z. B. Tiger), sowie auf den Verlust von Tausenden von Tier- und Pflanzenarten hinwiesen. Im Gegensatz zu konventionellen juristischen Foren bot die Anhörung auch eine Plattform für Künstler:innen. Sie sprachen darüber, dass Künstler:innen durch die Verwendung verschiedener Medien und einen erfahrungsorientierten und impressionistischen Ansatz nicht nur die offensichtlichen, sondern auch unsichtbaren Orte des Traumas und der schleichenden, oft nicht erkennbaren Umweltgewalt begreifbar machen können. Es wurde erörtert, dass es bei der Figur der Künstler:in nicht unbedingt darum geht, direkte Lösungen anzubieten, sondern eine Verlangsamung der Analyse zu ermöglichen, um alternative Strategien zu finden.

Das zweite Werk, dem ich mich zuwende, hilft uns dabei, einen mehr-als-menschlichen „kosmopolitischen Vorschlag“ zu konzipieren, um einen Begriff der Wissenschaftsphilosophin Isabelle Stengers zu entlehnen. Hier wird Natur nicht nur als ein Subjekt mit Rechten, sondern auch als ein potenziell politisches Subjekt verstanden – als „Bürger:in“ einer „Kosmopoliteia“.4 Forest Law (2014) ist eine Multimedia-Installation des Architekten Paulo Tavares und der Künstlerin, Schriftstellerin und Video-Essayistin Ursula Biemann, die auf langjährigen Recherchen über das ecuadorianische Amazonasgebiet als Ort des Konflikts zwischen den Kichwa in Sarayaku und der Ölindustrie basiert.5 Die Installation und der darin enthaltene Zweikanal-Videoessay erzählen, wie sich die Kichwa an Gerichte wandten – zum Beispiel an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte – um den Schutz der von ihnen bewohnten Umwelt einzufordern. Der bahnbrechende Fall Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador, in dem die Sarayaku den Staat Ecuador verklagten, weil er die Förderung von Öl auf ihrem Land ermöglichte, fiel mit bedeutenden Rechtsreformen in Ecuador zusammen. 2008 wurde eine neue Verfassung unterzeichnet, die der Natur Rechte einräumte und somit Ökosysteme – lebende Wälder, Berge, Flüsse und Meere – zu Rechtssubjekten erklärte.6

Obwohl der Begriff in Landscape as Evidence: Artist as Witness nicht verwendet wird, gewinnen wir einen Einblick in den „kosmopolitischen Vorschlag“, wenn Zeug:innen von der Notwendigkeit sprechen, über die Perspektive des bloß Menschlichen hinauszugehen und jene der „Natur“ (als das, was von der menschlichen Kultur ausgeschlossen wurde) in Verhandlungen über das „öffentliche Interesse“ einzubeziehen. In Forest Law wird Kosmopolitik ausdrücklich als „neuer konstitutioneller Raum“ bezeichnet, „in dem sowohl Menschen als auch Nichtmenschen in einer politischen Versammlung zusammenkommen“, in diesem Fall die lebenden Wälder Amazoniens.7 Mit anderen Worten, dieses „Waldgericht“ als kosmopolitischer Raum, der tief in der Geschichte kolonialer Gewalt verwurzelt ist, steht beispielhaft für die „Forderung nach der Konstituierung einer universalistischen, artenübergreifenden Politik jenseits des Menschlichen“.8 Hier, im indianischen Denken, umfasst der Raum des Sozialen, anders als in der westlichen Kosmologie, Menschen und Nichtmenschen. In den Worten der Philosophin Déborah Danowski und des Anthropologen Eduardo Viveiros de Castro: „what ‘we’ call the environment is for [Amerindians] a society of societies, an international arena, a cosmopoliteia” – eine, in der jedes „Objekt“ ein politisches Subjekt ist.9 Für Tavares und Biemann impliziert „eine solche Konzeption des Waldes als Kosmopoliteia …, dass jedes Wesen, das den Wald bewohnt – Bäume, Jaguare, Menschen –, ,Bürger:innen‘ innerhalb eines erweiterten Gemeinwesens sind, das durch komplexe materielle und symbolische Verbindungen zwischen Gesellschaft und Natur gebildet wird. Das Wesen der Natur ist sozial, und daher ist die Art und Weise, wie wir uns die Natur vorstellen, uns zu ihr in Beziehung setzen und sie repräsentieren – sei es in den Foren der Kunst oder des Rechts – grundsätzlich politisch. Der Wald ist eine Polis: eine politische Arena, in der die Konzepte ,Mensch‘ und ,Rechte‘ definiert werden.“10

In den letzten Jahren gab es wichtige Bestrebungen, Ökozid in das internationale Recht aufzunehmen.11 Damit einhergehend entwickeln sich Formen von Versammlungen, in denen künftige rechtliche Rahmenbedingungen erprobt werden könnten – zum Beispiel durch Volkstribunale wie das Monsanto-Tribunal und die Volksversammlung, die 2016 in Den Haag stattfanden.12 Elemente des Spekulativen und des Propositionalen verbinden solche Tribunale mit den hier besprochenen Kunstwerken. Die beiden Kunstwerke gehen dabei über bereits existierende Formate hinaus, da sie auf der Ebene dessen funktionieren, was ich als „kosmopolitischen Vorschlag“ bezeichnet habe. Beide Werke lehren „uns“ in Europa, dass Lebensformen jenseits des Menschlichen einen politischen Stellenwert haben. Was ich als „mehr-als-menschliche Kosmopolitik“ bezeichne, ermöglicht es uns, über die westlichen Binaritäten von Natur/Kultur, aktiv/passiv usw. hinauszugehen und den traditionell marginalisierten „Nichtexperten“ Raum zu geben, sowohl Einwände als auch Vorschläge zu machen. Die besprochenen Kunstwerke knüpfen an Denker:innen wie Stengers an, für die, wie Biemann schreibt, „dieser Kosmos, diese gemeinsame Welt, nicht bereits existiert, sondern erst hergestellt werden muss“.13 

1 Für eine Begriffsbestimmung des more-than-human, siehe Anna Tsing, More-than-Human Sociality: A Call for Critical Description, in Anthropology and Nature, Kirsten Hastrup, Hrsg. (New York und London: Routledge, 2013), S. 27–42.
2 Siehe Khoj International Artists’ Association, Landscape as Evidence: Artist as Witness, https://khojstudios.org/event/landscape-as-evidence-artist-as-witness/
3 Siehe die Broschüre zur Performance unter https://khoj-website.storage.googleapis.com/wp- content/uploads/2017/04/19133424/Final-Brochure.pdf
4 Siehe Isabelle Stengers, The Cosmopolitical Proposal, in Making Things Public: Atmospheres of Democracy, Bruno Latour und Peter Weibel, Hrsg. (Cambridge, MA: The MIT Press, 2005), S. 994–1003.
5 Die Videoinstallation Forest Law wurde 2015 im BAK, basis voor actuele kunst, Utrecht, im Rahmen von Human-Inhuman-Posthuman im Programm Future Vocabularies ausgestellt. Siehe auch Ursula Biemann und Paulo Tavares, Forest Law/Selva Jurídica: On the Cosmopolitics of Amazonia (East Lansing: Eli and Edythe Broad Art Museum at Michigan State University, 2014).
6 Biemann und Tavares, Forest Law, S. 81.
7 Biemann und Tavares, Forest Law, S. 8.
8 Paulo Tavares und Ursula Biemann, The Forest Court, in Elements for a World: Wood-Law, Rights, Truth, Testimony, Ashkan Sepahvan, Nataša Petrešin-Bachelez and Nora Razian, eds. (Beirut: Sursock Museum, 2016), p. 25.
9 Déborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro, The Ends of the World, trans. Rodrigo Nunes (Cambridge: Polity Press, 2017), S. 69, (meine Hervorhebung). Zitiert aus dem portugiesischen Original in Tavares und Biemann, The Forest Court, S. 25.
10 Tavares und Biemann, The Forest Court, S. 25.
11 Siehe https://www.stopecocide.earth
12 Siehe http://www.monsanto-tribunal.org
13 Ursula Biemann, The Cosmo-Political Forest: A Theoretical and Aesthetic Discussion of the Video Forest Law, in: GeoHumanities, vol. 1, no. 1 (2015), S. 10 (meine Hervorhebung).

Eine frühere, längere Version dieses Textes wurde veröffentlicht in: Maria Hlavajova und Wietske Maas, Hrsg., Propositions for Non-Fascist Living: Tentative and Urgent (Utrecht und Cambridge, MA: BAK, basis voor actuele kunst; MIT Press, 2019), S. 125–40. Aus dem Englischen übersetzt von Sophie Schasiepen.


Shela Sheikh ist Senior Lecturer für Internationale Politik an der University of London, Institute in Paris (ULIP).