Lumbung und die verlorene Kunst der Verwaltung der Allmende

Auf der documenta fünfzehn stellte das indonesische Kunstkollektiv ruangrupa der globalen Kunstgemeinschaft für einen kurzen Zeitraum seine Weltsicht zur Verfügung. Das Kollektiv, gemeinhin als ruru (abgekürzt von ruangrupa) bezeichnet, etablierte den Begriff lumbung, um ihre für die Ausstellung angewandte kuratorische Praxis zu benennen. Während rurus Beharren darauf, lumbung als Praxis zu verstehen – insbesondere im engeren Kontext des Kuratierens der documenta – zu würdigen ist, ist es sinnvoll, die Vorzüge von lumbung über das Management einer Kunstausstellung hinaus hervorzuheben.

Lumbung ist ein indonesisches Wort für eine Scheune, die gemeinschaftlich genutzt wird. In ländlichen, landwirtschaftlich geprägten Gemeinden wird sie üblicherweise zur Lagerung von Getreide, Reis und anderen Feldfrüchten verwendet. Der Kern dieser traditionellen Praxis ist die Idee des gemeinschaftlichen Lebens, der Produktion und der Verteilung, da die Verwendung von lumbung eine gemeinsame Nutzung der Ressourcen mit sich bringt. Als solche lehnt sie individuelles Eigentum ab und unterstützt die kollektive Kontrolle über Ressourcen. Sie geht von einer gemeinschaftlichen Praxis aus, die in direktem Widerspruch zu einer vom globalen kapitalistischen Lebensmittelsystem erwarteten landwirtschaftlichen Produktion steht.

In diesem Sinne ist lumbung auch ein Symbol für Selbstständigkeit, Ernährungssicherheit und Souveränität (Autarkie). Wie bei anderen traditionelleren kollektiven Praktiken wird die Verwendung von lumbung zunehmend aufgegeben, da sich die Gemeinschaften auf ­modernere Produktionsmittel umstellen. Für ruru bleibt lumbung eine zentrale Grundlage ihrer Praxis, die auf gemeinschaftlichen Prinzipien und einer gerechten Verteilung von Ressourcen beruht – während der documenta und darüber ­hinaus.

Indem sie lumbung als Begriff für ihre Arbeitsweise und den Umgang mit Ressourcen verwenden, versuchen ruru, eine Metapher des Globalen Südens einzuführen, die für die Möglichkeit alternativen Wirtschaftens steht. Buen Vivir könnte als ein ähnliches Projekt verstanden werden – ein Konzept, das jedoch bereits erfolgreich in nationale Politiken Einzug erhalten und weltweit Einfluss auf soziale und ökologische Bewegungen genommen hat.

Die von Buen Vivir vorgeschlagene gute Lebensweise hat ihre Wurzeln in den Philosophien der indigenen Völker der Anden. Es legt großen Wert darauf, zu unseren „Wurzeln“ zurückzukehren, und zeigt gleichzeitig einen Weg auf, sich vom kolonialen Erbe zu lösen und eurozentrische Ansichten über Modernisierung, Wissen und Produktionsmittel abzulehnen. In diesem Sinne ist Buen Vivir eine allumfassende Philosophie, die eine Anleitung zu einer besseren Lebensweise in einem ganzheitlichen Sinne bietet.

Darin unterscheidet sich lumbung von Buen Vivir. Hat Buen Vivir im positiven Sinne die Züge einer großen Metapher, stellt lumbung eher einen operativen Rahmen dar. Aus diesem Grund bezeichnen ruru lumbung auch als Praxis. Es handelt sich um eine gemeinsame Nutzung von Ressourcen, eine Praxis, die sie im Rahmen einer internationalen Kunstausstellung in Europa angewandt haben.

Meines Erachtens hat lumbung mehr mit Elinor Ostroms Thesen zur Allmende gemein als mit Buen Vivir. Kunst ist zwar nicht mit natürlichen Ressourcen vergleichbar und besitzt auch nicht denselben inhärenten Wert, aber man kann durchaus argumentieren, dass die Verwaltung eines Kunst-Ökosystems Parallelen zur Verwaltung der Allmende aufweist. Beide Welten erfordern kollektiv gestaltete Institutionen, ein starkes Vertrauen zwischen ihren Befürworter_innen und die Aussicht, das Ökosystem auf nachhaltige Weise zu betreiben.

Die documenta fünfzehn ermöglichte es der globalen Kunstgemeinschaft, kurzzeitig durch die Augen von ruangrupa auf die Welt zu schauen. Vor der documenta hatte ruru nur selten versucht, eine Theorie über ihre Kunstpraktiken zu entwickeln oder diese konzeptuell zu rahmen. Durch interne und externe Kämpfe hindurch haben sie jedoch an ihrer Art des Ressourcenmanagements festgehalten. Erst mit dem Begriff lumbung hat diese kollektive Praxis nun einen Namen bekommen. Es ist ein Konzept, von dem viele Kollektive lernen und sich inspirieren lassen können, nicht nur in Indonesien, sondern überall auf der Welt.

Während Buen Vivir sich dadurch auszeichnet, philosophischer und moralischer Grundsatz für ein Leben in Harmonie mit Mutter Natur zu sein, könnte lumbung ein Rahmen sein, um diese Ideale zu verwirklichen. Ruru hat sich im Laufe der Jahre bemüht, diese Prinzipien umzusetzen, etwa durch die Einbeziehung vieler Stimmen, kollektive Entscheidungsfindung und polyzentrische Ansätze bei der Ausstellung und Aufführung von Kunst, einschließlich ihrer Vermarktung. Der Fallstrick besteht darin, dass dieser Ansatz nicht mit der Logik größerer wirtschaftlicher Zusammenhänge (economics of scale) einhergeht, aber genau darin liegt das Potenzial der Nachhaltigkeit und ein weiterer Grund dafür, dass lumbung im Gegensatz zu individualisierten, neoliberalen Kunstpraktiken steht.

Ich glaube daher, dass lumbung, sowohl als Prinzip als auch als Praxis, mehr Diskussion und Reflexion nicht nur von Kunstschaffenden, sondern von Befürworter:innen des Wandels aus allen Bereichen verdient, die ein besseres Wirtschaftssystem anstreben. Also: Lasst es lumbung geben!


Fajri Siregar ist Doktorand der Anthropologie an der Universität Amsterdam.

Aus dem Englischen übersetzt von Sophie Schasiepen.