Host a Community, bist a Community

Lokale Paradoxe, Anekdoten und Fragen zum Community Organising

Februar 2018, ein internationaler Workshop rund um „placebased pedagogies“ – ortsbezogene Pädagogiken – in einem Wohnzimmer in Barcelona. Es geht um die Möglichkeit, Lernen und Wissen vom Lokalen her zu praktizieren, als Teil der Organisierung. Lehrerinnen, AktivistInnen und KünstlerInnen sind da, eine Londoner Mittelschullehrerin erzählt von der Wertschätzung von Slangs und vom Wissen um lokale soziale Verhältnisse im Unterricht. Ein Wort zirkuliert vielfach: „community“. Local Community, Community Organising, Community Knowledge … [1]

Nach einiger Zeit meldet sich eine Teilnehmerin aus Österreich: „Die Sache ist die, in Wien gibt es keine Community. Die Leute gehen zur Arbeit, die Kinder in den Kindergarten oder die Schule, am Abend kommen sie Heim. Es gibt keine Hausfrauen mehr, die sich täglich in der Nachbarschaft organisieren würden.“ Ein bisschen Polemik ist da schon dabei, aber es wird auch viel genickt – Community ist vielerorts nicht selbstverständlich. Auch wenn man gerne Community Organising und Community Education machen würde, ist oft nicht klar, wo ansetzen.

Zu Community Organising gibt es viele spannende Genealogien, und es wäre durchaus wert, sie in Bezug auf verschiedene regionale Erfahrungen zu durchdenken. Der deutsche Sprachraum ist sicher besonders unterbelichtet und es würde sich lohnen, Geschichten und Praxen hervorzuheben. Wir könnten da auf verschiedene Ausrichtungen oder Momente des Community Organising eingehen: jenes, das sich bemüht, Gemeinschaften zu schaffen oder zu verbinden; oder jenes, das existierende Gemeinschaften politisieren oder in Kämpfen unterstützen will. Weil dieser Text kurz bleiben muss, bleiben wir hier beim Anekdotischen, um ein paar dafür relevante Fragen zu formulieren.

„Es-gibt-da-keine-Community“. Bei mir läuten gleich die Alarmglocken und ich denke an Thatchers Prophezeihung „there is no such thing as society“[2]. Solche Aussagen stellen ja oft Realität erst her, manchmal sind sie von einem toten Winkel oder auch unliebsamen Standpunkt aus formuliert. Man kann entgegnen: Es gibt immer Community! Man muss nur (wo)anders hinschauen, weg von den lohnarbeitenden autochtonen Leuten zum Beispiel. Aber gehen wir mal auf die Polemik ein, denn sie ist typisch für den deutschsprachigen Raum.

In Österreich zum Beispiel beklagt man schon gern das Fehlen an (Selbst-)Organisierung – bestimmt nicht ohne Grund, denn die Kombination aus postfaschistischer Malaise oder Gemeinheit und einer gewissen wohlfahrtsstaatlichen Gemütlichkeit sind nicht gerade eine hoffnungsvolle Mischung, was die alltägliche Solidarität betrifft. Das Paradigma der Mittelschicht mit ihrer entfremdeten, befremdlichen und zunehmend fremdenfeindlichen sozialen Haltung, legt sich wie ein luftdichter Deckel über den Geist fröhlicher Rebellion. Das Misstrauen gegenüber der Gesellschaft und den Anderen ist oft zu groß, als dass viel schwesterlich-brüderlicher Kampfgeist aufkommen würde. Community sind dann immer die anderen, entweder als idealisierte Kulturkreise oder gefürchtete Clans.

Ist mit der Mittelschicht Community Organising zu machen? Die Antwort ist wohl nein, sowohl die national als auch die liberal imaginierte Version dieser Community ist eher zum Vergessen, zu sehr im kapitalistisch-individualistischen Telos gefangen, eine ungut schmierige „Schicht“. Aber man soll auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, und anstatt sich auf soziologische Kategorien zu fixieren macht es vielleicht mehr Sinn auf der Ebene der Reproduktion weiterzudenken. Kinder, Hausfrauen, Omis, Küchen, Gänge, Gärten und Parks: die Reproduktion muss sich jede(r) organisieren, und diese Organisation geht nie ohne andere, ohne Beziehungen, Netzwerke und Unterstützung.

Die unsichtbare weibliche Subversion des postfaschistischen Kapitalismus, die MariaRosa Dalla Costa und Selma James in ihrem historischen Text The Power of Women and the Subversion of Community (1972) beschreiben, schaut heute (und im deutschsprachigen Raum) zwar anders aus. Hausfrauen gibt es weniger, prekäre junge und alte Menschen aber immerhin einige und Reproduktionsarbeit ohne Ende, sei sie bezahlt oder unbezahlt. Nach wie vor organisieren sich Frauen und Mütter – und Pflegekräfte und SexarbeiterInnen und PädagogInnen und so weiter – selbst und sprengen damit patriarchale Subjektivierungsmuster und Organisationsformen. Die Organisierung von Communities rund um Reproduktion schlägt oft Brücken zwischen dem informellen und dem formellen Arbeiten, dem Erhalten der eigenen Leben und den Institutionen.

Tatsächlich muss eine mögliche Definition von Community Organising davon ausgehen, dass es sich immer um eine Organisierung rund um die Reproduktion des Lebens handelt – sei es um Kinderbetreuung, Gesundheit, Umwelt, öffentliche Räume, Wohnen, Wasser, Ernährung, usw. Der gemeinsame Nenner, der eine Gemeinschaft in diesem Sinne ausmacht, hat so immer mit dem täglichen Leben und seinen Bedingungen zu tun (im Gegensatz zu Arbeitskämpfen, bei denen es eher um Lohn und Lohnarbeitsbedingungen geht).

Was nicht heißen soll, dass Lohnarbeit das Community Organising killt. Die Herausforderung ist es eher, da Zusammenhänge und Komplizenschaften zu finden, so dass Betreuungspersonal zusammen mit Betreuten kämpfen und streiken kann und sich damit Arbeit und Gemeinschaft neu definieren lässt. Im Sinn von Commons, wo grundlegende Bedürftnisse der Ausgangspunkt für selbstorganisierende Gemeinschaften sind. Der Politiwissenschaftler Massimo de Angelis beschreibt „commoning“ als soziale Arbeit, die Gemeinschaft zugleich schafft und aufrecht erhält: ohne Gemeinschaft keine Commons, schreibt die Feministin Maria Mies.

Also muss Community Organising am besten immer auch als ein Schaffen gedacht werden, nicht nur als ein Fordern oder Bekämpfen. Dabei treffen Menschen unterschiedlicher sozialer Hintergründe und Ansichten zusammen, und diese Transversalität und Differenz macht Gemeinschaft aus: Community beschreibt auf diese Weise keine Essenz, keine tiefrgreifende Verbundenheit oder Authenzitiät, schon gar keinen Identitäts – club, sondern ein Zusammentreffen in Verschiedenheit, mit einem gemeinsamen Horizont.

Manuela Zechner ist Forscherin und Kulturarbeiterin, momentan viel in Südeuropa umtriebig.

[1] Von Community Art ist interessanterweise nicht mehr viel die Rede heutzutage. Das ist wohl damit verbunden, dass damit recht viel Kommerzialisierung, Whitewashing und Entpolitisierung einhergegangen ist.

[2] Im nächsten Atemzug taucht dann auch gleich David Camerons „Big Society“ auf, die in der umgekehrten Bewegung alles Gemeinsame, das nicht irgendwie radikal niet- und nagelfest ist, der Privatisierung, Kontrolle und Managementlogik unterwerfen