Herbst 2017: Es ist eine bekannte Geschichte im rechtspopulistischen Österreich, angesichts mehr als eindeutiger Wahlprognosen wenig überraschend – und für viele Linke und Liberale dennoch ein Schock. Zum dritten Mal nach Schüssel I und Schüssel II wird eine Schwarz-Blaue Regierung in Österreich angelobt, nach Schwarz-Blau und Schwarz-Orange schimmert sie diesmal Türkis-Blau – und stellt nicht nur farblich eine ganz neue Variation der rechtskonservativen Koalition dar. Sowohl die Volkspartei als auch die Freiheitlichen sind mehr als 15 Jahre nach der „Wende“ personell gänzlich anders aufgestellt als noch zur Jahrtausendwende. Fungierte die FPÖ unter Jörg Haider – nachdem er den extrem rechten Rand weitgehend isoliert hatte – noch als Sammelbecken für Glücksritter und Polit-Einsteiger_innen (Stichwort „Buberlpartie“), wurde unter Parteichef Heinz-Christian Strache eine akademische Burschenschafter-Elite an die Schalthebel der Macht befördert. Als „stille Machtergreifung“ beschreibt Hans-Henning Scharsach in seinem vielzitierten gleichnamigen Buch diese Entwicklung innerhalb der FPÖ. Aber auch die „neue Volkspartei“ unter Polit-Liebling Sebastian Kurz hat nur noch wenig mit der bündisch geprägten ÖVP unter Ex-Kanzler Schüssel gemein. Während Landesfürsten wie Josef Pröll und Josef Pühringer und Spitzenfunktionäre in Wirtschafts- und Bauernbund einer neuen (mit Ausnahme von Johanna Mikl- Leitner männlichen) Führungsriege Platz machte, scharte Kurz enge Vertraute aus der Jungen ÖVP um sich, in die Ministerien zogen Quereinsteiger_innen ein, angehalten, sich ausschließlich zu ihren Fachgebieten zu äußern – und dem Kanzler nicht ins Handwerk zu pfuschen.
Siegesrausch
Es war eine durchkomponierte Kampagne, die wohl so manchen Sozialdemokraten vor Neid erblassen ließ. Die Kombination aus von den Freiheitlichen entlehnten Slogans („Sebastian Kurz hat ein Glück, dass es bei dieser Diskussion nicht um Verkehrspolitik gegangen ist. Weil da hätte er wahrscheinlich auch argumentiert, das verkehrspolitische Problem sind Burkaträgerinnen, die illegal in zweiter Spur vor Islamkindergärten parken“, so Peter Filzmaiers pointierte Analyse einer TVDiskussion im Herbst) und einem auf Hochglanz polierten Schwiegersohn-Image bescherten Kurz und seinen neuen Türkisen einen fulminanten Wahlsieg. Im Gegensatz zu Wolfgang Schüssel, der als Wahlverlierer vom dritten Platz aus mit Haiders Unterstützung ins Kanzleramt einzog und damit weit über die Grenzen hinaus nicht nur die Linke empörte, war Kurz‘ Führungsanspruch schon vorab durch Stadthallen voller begeisterter Bürger_innen und einen bewundernden bis ergebenen Boulevard gesichert. Die neue Regierung ist somit in gewisser Hinsicht keine Skandal-Regierung, sondern eine Regierung, der der Rückhalt einer deutlichen (wahlberechtigten) Bevölkerungsmehrheit sicher ist.
Leise Empörung
Der Protest gegen die Koalition, die immerhin deutschnationale Burschenschafter in Regierungsämter hievte, formierte sich dementsprechend wesentlich zögerlicher als noch zur Jahrtausendwende. Hunderttausende Menschen marschierten damals zum Ballhausplatz, während Schüssel und Gefolgschaft durch einen unterirdischen Tunnel – geschützt vor den wütenden Demonstrierenden – in die Hofburg schlichen. Aus der Großdemonstration wurde die Donnerstagsdemonstration: Monatelang marschierte die Zivilgesellschaft jeden Donnerstag – bis selbst den hartnäckigsten Aktivist_innen die Luft ausging. 2018 gestaltete sich das Ganze bescheidener. Auch wenn die Organisator_innen der Demonstration gegen Türkis-Blau am 13. Jänner überrascht waren über den großen Zustrom (rund 70.000 Teilnehmer_innen laut Veranstalter_innen, die Polizei sprach von 30.000) – von kollektiver Empörung wie zur Jahrtausendwende ist keine Rede. Die Gründe dafür sind nicht nur in Österreich zu finden. Rechtspopulist_innen sind quer durch Europa längst in Regierungssitze und Parlamente eingezogen, EU-Sanktionen wie unter Schüssel I (über sieben Monate hinweg wurden die bilateralen Beziehungen zwischen den EUStaaten und Österreich eingestellt) sind heute kaum noch denkbar. Während die Freiheitlichen mit einer Rekordanzahl von Burschenschaftern im Parlament vertreten sind, ist die einzige Partei, die immer klar gegen rechte Politiken und für feministische Forderungen Stellung bezog, an der Vier-Prozent- Hürde gescheitert – und aktuell in einen Selbstfindungsprozess verstrickt. In Salzburg warb die Grüne Spitzendkandidatin Astrid Rössler jüngst mit dem Slogan „Heimat beschützen“, umringt von strahlenden Kindern in Lederhose und Dirndl. Nach Jahrzehnten an „Wiener Blut“-Plakaten und „Ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“-Sagern hat sich die Schmerzgrenze hierzulande kontinuierlich verschoben, Gewöhnungseffekte schleichen sich selbst bei jenen ein, die es als ihre Aufgabe begreifen, den rassistischen Normalzustand zu skandalisieren.
Neue – feministische – Linke
Die Linke in Österreich – wie so oft – für handlungsunfähig oder gar nicht existent zu erklären, wäre dennoch verfrüht – und schlichtweg falsch. Ähnlich wie in so vielen anderen Staaten, wie in den USA, in Polen oder in Spanien sind es auch in Österreich feministische Gruppierungen, von denen wesentliche zivilgesellschaftliche Impulse ausgehen, die sich gegen rechte Hetze und für ein solidarisches Miteinander starkmachen, für liberale Gesellschaftspolitik und einen starken Sozialstaat kämpfen. Zusätzlich zu den vielen (queer-)feministischen Initiativen, die seit Jahren und Jahrzehnten in ganz Österreich existieren, drängt aktuell das Frauenvolksbegehren 2.0 (schon 1997 wurde ein Frauenvolksbegehren durchgeführt) in die Öffentlichkeit, das es sowohl geschafft hat, verschiedene Generationen an Feministinnen* zu vereinen als auch Personen anzusprechen, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben politisch organisieren. 247.436 Unterschriften konnten die Aktivist_innen bereits in der Einleitungsphase sammeln – mehr als nur ein Achtungserfolg. Auch wenn sich über Volksbegehren als Instrument feministischer Politik streiten lässt: Angesichts der türkis-blauen Regierung, die frauenpolitischen Themen bisher schlichtweg keine Beachtung schenkt (es sei denn, sie lässt sich in Form eines Kopftuchverbots für rechte Stimmungsmache instrumentalisieren) und einer Ministerinnen-Riege, die geschlossen erklärte, das Frauenvolksbegehren nicht unterschreiben zu wollen, braucht es feministische Organisation wie das FVB 2.0 sowohl als kritischen Stachel in der innpolitischen Debatte wie auch als Kristallisationspunkt (queer-)feministischer Szenen. Den Organisator_ innen ist es bisher gelungen, einen beeindruckenden Spagat zu vollführen: frauenpolitische Themen zu popularisieren und sich trotz einiger Abstriche einer populistischen wie neoliberalen Umarmung zu entziehen. Die Empörung (vor allem liberaler Kreise) über Forderungen wie jene nach einer 30-Stunden-Woche kann bereits als erster Erfolg verbucht werden: Statt sich wie Frauenpolitikerinnen in Österreich in Zurückhaltung zu üben und provokante Forderungen den Rechten zu überlassen, ist dem Frauenvolksbegehren damit eine wichtige Themensetzung gelungen (Dass Vollzeitbeschäftigung und gesicherte Anstellungsverhältnisse für viele Frauen in Österreich ohnehin außer Reichweite liegen, bietet Stoff für feministische Auseinandersetzungen, die es einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen gilt). Auch weg von einem all zu starken Fokus auf Wien hat es das Frauenvolksbegehren 2.0 geschafft: Insbesondere in der (nach rechts rückenden) Steiermark und in Oberösterreich haben sich schlagkräftige lokale Gruppen gebildet. In Linz initiierten die NGOs maiz, FIFTITU% und Arge Sie zudem die Frauenland retten-Kampagne und machten sichtbar, was Schwarz-Blau für feministische Initiativen bedeutet: Förderungen für die Arbeit für und mit wohnungslosen Frauen*, Künstler_innen, Sexarbeiter_innen und Migrant_innen wurden vom Frauenreferat des Landes kurz vor Weihnachten gestrichen. Künstlerinnen* wiederum sind es, die dem rechten Österreich den feministischen Spiegel vorhalten: Die Persiflage burschenschaftlicher Rituale durch die feministische Burschenschaft Hysteria, deren wohl prominentestes Mitglied Stefanie Sargnagel ist, erscheint angesichts der parlamentarischen Schmiss-Präsenz aktueller denn je.
Frau Bürgermeister
Eine Entwicklung auf der Ebene der Parteipolitik, wie sie seit der Wahl Trumps in den USA zu beobachten ist, fehlt hierzulande: Dort inspirierten der Präsident und sein Kabinett des Grauens unzählige Personen dazu, für ein politisches Amt zu kandidieren. Schon im vergangen Jahr feierten Frauen*, Transgenderpersonen und People of Color historische Wahlerfolge in mehreren Bundesstaaten. In Charlotte, North Carolina, trat die progressive Vi Lyles als erste Schwarze Frau das Amt der Bürgermeisterin an, die Demokratinnen Elizabeth Guzman und Hala Ayala wurden in Virgina als erste Latinx zu Delegierten gewählt. In Österreich, wo es bis heute keine Kanzlerin und keine Bundespräsidentin gegeben hat und selbst eine (sozialdemokratische) Wiener Bürgermeisterin kaum vorstellbar erscheint, könnte der Marsch auf die Institutionen auf sich warten lassen. Aktivistinnen der Wiener Frauenbewegung diskutieren indes schon seit Jahrzehnten die eine heikle Frage: Eine Frauenpartei, ist das denkbar?
Brigitte Theißl ist freie Journalistin und Erwachsenenbildnerin und lebt in Wien. Sie ist Redakteurin beim feministischen Magazin an.schläge und bloggt unter www.denkwerkstattblog.net.