Die Vergangenheit, der Wert und die kanadische Axt

Die kanadische Axt hatte einen roten Griff und ihre Klinge war besonders stabil, hinten konnte man mit dem Vorschlaghammer draufhauen, um besonders dicke Holzscheite klein zu kriegen. Mein Vater hatte sie in den 80ern für stolze 250 DM gekauft. Als wir nach seinem Tod das ganze Werkzeug direkt aus der Garage verkauften, drückte mir ein Axtinteressierter für sie einen fünf Euro-Schein in die Hand. Dinge verlieren ihren Wert. Kaum eine ideelle Gemeinsamkeit, kaum eine Zugehörigkeit der materiellen Produkte zu einer regionalen, nationalen oder auf andere Weise umgrenzten Praxis kann den Bestand des Wertes wirklich langfristig garantieren.

An die kanadische Axt musste ich oft denken, als ich über den „Respekt für die Dinge“ las, „die ihren Wert aus ihrer Verwurzelung in der Vergangenheit“ ziehen, den die Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre in Bereicherung. Eine Kritik der Ware (2019) als Teil der Bereicherungsökonomie beschreiben. Wenig schreiben sie darüber, dass es ganz offenbar entscheidend ist, um wessen Vergangenheit es geht. Die Axt hatte eine Familiengeschichte, lag lange in der Garage, war vielleicht nur deshalb dahin geraten, weil der Vater früher mal geschäftlich längere Zeit in Kanada gewesen war usw. Das aber konnte ihren Wert nicht annähernd garantieren. Es braucht Konventionen, besser noch Institutionen, die relativ erfolgreich ein gesellschaftliches Einverständnis simulieren und damit den Wert der in ihnen aufgehobenen Gegenstände stabilisieren. Eine Garage kann eine solche Institution nur sein, wenn sie ein Museum ist.

Der Gegenstand ist dann seiner Pflicht enthoben, die ihm angediehene Funktion zu erfüllen. Er kann sich zurücklehnen und ästhetisch beurteilen lassen. In diesen Genuss kommt die gemeine Axt aber nur selten, letztlich auch die kanadische. Die meisten bleiben Werkzeuge und damit Unterworfene des praktischen Nutzens. Anders als beim Werkzeug ist es beim Kunstwerk nämlich entscheidend, wer es gemacht hat oder zumindest, wer seinen Status als Kunstwerk behauptet und dieser Behauptung irgendwie zu Legitimität verholfen hat. Damit ist es aber noch lange nicht getan. Die Schöpfer*innen und Behaupter*innen müssen sich ihrerseits immer wieder beglaubigen lassen, „den eigenen Wert zur Geltung bringen“ (Boltanski/ Esquerre). Über Ausstellungen, Kunstkritiken und Ver- bzw. Ankäufe ihrer Werke. Alles Puzzleteile in der potenziellen Wertakkumulation.

Auch wenn Boltanksi und Esquerre die Institutionalisierung und die Kämpfe um den Wert vielleicht in ihrer Beschreibung als zu gering einschätzen: In ihrer politischen Haltung dazu sind sie erfrischend eindeutig. Dass es nur Wenigen gelingt, irgendeinen aus der Verwurzelung in der Vergangenheit entstehenden Wert abzuschöpfen, ohne ihn mit anderen zu teilen, finden sie empörend. Letztlich geht es also nicht um die Aufwertung der Axt oder um die Abwertung der Kunstwerke, sondern um die Umverteilung des Profits, der damit gemacht wird. Und um das kollektive Auffangen der Verluste. Denn, so der vielleicht holzscheitkrachenste Satz des Buches, „die Vergangenheit gehört niemandem“. 


Oskar Lubin ist Anarchist und Autor von Triple A. Anarchismus, Aktivismus, Allianzen (Münster 2011).