Als der Rahmen brach

Als Mirko Bajs seinen Körper langsam nach vorne beugte, wurde er von niemandem beachtet. Als er mit den Armen seinen Unterbauch umarmte und begann, sich nach vorne und hinten zu wiegen, dachten einige es sei ein Live-Auftritt zu den zwei Körpern, die aus dem Rahmen herauszubrechen schienen. Als Bajs auf den Boden stürzte runzelten einige die Stirn und hoben mit einer abweisenden Erhabenheit die Augen in Richtung Plafond. Dabei sahen sie nicht die Toten, auf der Lichtung verstreut. Die meisten der Toten lagen auf dem Rücken, mit merkwürdig angewinkelten Beinen. Einige metallene Gürtelschnallen reflektierten die Sonnenstrahlen. Irgendwie sah alles friedlich aus. Still war es. Das satte Grün der Bäume am Rand der Lichtung beruhigte. Bajs schloss die Augen und genoss in diesem Augenblick den Geruch von Gras und Erde, den er tief in sich einsog. Sofort öffnete er wieder die Augen. Sie juckten stark. Was mache ich in dreißig Jahren? Wovon werde ich leben? Ich muss etwas mit meinen Augen machen. Ob das wohl eine Entzündung sein könnte? Was wohl in dem Brief vom Gericht stand? Er wollte ihn nicht öffnen. Was wenn es jetzt wirklich so weit war? Aus mit der schönen Wohnung. Wohin sollten sie mit ihren Sachen, wenn sie in eine kleinere Wohnung ziehen müssten? Wonach riecht es hier? Vergammeltes Fleisch? Einige wollten auf dem Weg eine neue Einheit gründen. Er aber wollte nur weg, so schnell wie möglich weiter. Dann, auf einmal kamen ihnen drei Männer entgegen, mit großen schwarzen Schultertaschen. Einer trug eine große Kamera auf der rechten Schulter. Der kleinste von ihnen lief mit einem Mikrofon in der Hand dem mit der Kamera hinterher. Schnaufend kamen sie ihnen entgegen. „Where do you come from?“ „Do you speak English?“ „Sprechen sie Deutsch?“ „Wie ist die Situation in dem Nachbardorf? Waren sie dort?“ „Wir möchten sie filmen. Wir zahlen auch dafür.“ „Können sie mal schnell zu den Bäumen dort rechts laufen? Mehr müssen sie nicht tun.“

Als sich Mirko vom Boden aufrappelte und zitternd an einer Säule lehnte bemerkte er die Menschenmenge, welche sich um ihn angesammelt hatte und ihn beobachtete, schwieg und aus einem, ihm unerklärlichen Grund begann zu klatschen. Es war der erste Applaus den er in seinem Leben bekommen hatte. Er musste dafür nicht mehr tun, als zittrig an einer Säule lehnen. Irgendwie hatten sich diese Menschen doch mehr verdient, als ihn so armselig zu sehen. So richtete er sich auf und drehte sich lächelnd den Menschen zu. Ob er wohl die Arme heben sollte? Das wäre wohl zu sportlich für diesen Ort, aber irgendetwas musste er noch tun, das hatten sich die Leute wohl verdient und er fühlte sich auch verpflichtet. Mirko blickte die Menschen um sich an. Die Menschen starrten in einer Erwartungshaltung, die sie, zumindest in diesem Augenblick vereinte, Mirko an. Er würde Blickkontakt halten, dachte sich Mirko. Darin war er gut, hatte er schon als Jugendlicher alle seine Schulkollegen im Wer-kann-länger-in-die-Augenblicken- Spiel geschlagen. So sah er die Menschenmenge an, bis sich diese schulterzuckend und ratlos wieder auflöste.


Vlatka Frketić verqueert Antirassismus in Wien.